
Bei einer Zugfahrt saßen ein kleines Mädchen und seine Mutter mit mir im Abteil. Unbekümmert plapperte das Kind vor sich hin. Plötzlich und für das Kind völlig unvermittelt fuhr der Zug in einen Tunnel ein. Im Wagen war kein Licht eingeschaltet, so war es schlagartig stockfinster. Erschrocken über die plötzliche Dunkelheit verstummte das Kind sofort. Schließlich fragte es leise und ängstlich: „Mama, bist du noch da?“
Die Mutter erwiderte: „Aber ja! Hier, ich fasse dich an der Hand.“ Und da fing das Kind wieder an zu erzählen, obwohl es noch immer stockdunkel war. Die Nähe der Mutter machte es zuversichtlich und getrost.
Diese kleine Szene ist für mich unvergesslich geworden: Wir erleben, dass jäh Leid, Trauer und Fragen unser Leben verdunkeln. Vielleicht haben wir im übertragenen Sinn einen „Tunnelblick“, der uns nur eine eingeschränkte Sicht erlaubt und vieles ausblendet – unsere Mitmenschen mit ihren Nöten und vielleicht auch Gott.
Wir fragen uns: Ist Gott überhaupt noch da? Oder hat er sich verabschiedet aus unserem Leben und unserer Welt, in der so oft Gewalt, Hass und Grausamkeit scheinbar das letzte Wort haben?
Jetzt in der Passionszeit erinnern wir uns daran, dass Jesus selbst erfahren hat, dass Hass und Ablehnung ihm entgegenschlugen. Er wurde zum Opfer der Gewalt, ans Kreuz geschlagen und getötet.
Damit ist aber klar, dass Gott um unser Leid keinen Bogen macht. Er zieht sich nicht zurück, wenn unser Leben und unsere Welt in Dunkelheit zu versinken drohen. Er kennt das Leid und ist uns gerade dann nah, wenn wir ihn ganz fern wähnen.
Mama, bist Du noch da? – so fragte das Kind im Tunnel und wurde durch die Worte und die Hand der Mutter mit Zuversicht erfüllt.
Gott, bist Du noch da? Bei dieser Frage müssen wir nicht stehen bleiben: Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott da ist und wirkt – unsichtbar und doch heilsam. Grausamkeit und Tod konnten seine Nähe zu uns nicht zerbrechen. Seit Ostern ist Jesus Christus der Auferstandene an unserer Seite. Er hält uns, auch wenn wir das manchmal gar nicht spüren. Wir brauchen nicht im Tunnelblick verharren. Wir dürfen durch unseren manchmal engen Horizont sehen – auf unseren Nächsten und auf Gott.
Wir dürfen darauf vertrauen: Unser Herr hält uns und führt uns durch alle Krisen und Nöte seinem Ziel entgegen.
Der Beter des 73. Psalms, der selbst große Nöte bewältigen musste, hat diese Hoffnung in ein Gebet gefasst: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand … Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“
Pfarrer Heinz Geyer, evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Burgkunstadt
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