
Eigentlich gibt es für einen Journalisten keine größere Bestätigung als die Aufmerksamkeit der Welt für eines seiner Herzensthemen. Eigentlich. Aber wenn es für diese Aufmerksamkeit erst einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und tausende Tode braucht, bleibt kein Platz für Bestätigung. Sondern nur die Wahl zwischen Resignation und Weitermachen. Till Mayer hat sich fürs Weitermachen entschieden.
Seit 2014 berichtet der Bamberger (Foto-)Journalist nun schon in Texten und Bildern von „Europas vergessenem Krieg“ im Osten der Ukraine, wie er ihn lange nannte. Seit 2017 macht er das regelmäßig direkt von der Front im Donbas. Aus dem Wegschauen der Welt ist mit dem groß angelegten Einmarsch von Putins Truppen im Februar 2022 nicht mehr zu verdrängende Realität und, einige Monate und ungezählte, immer neue Schreckensmeldungen später schrecklicher Alltag geworden. Mayers aktuelles Buch „Ukraine“, das Ende Oktober 2022 im Erich-Weiß-Verlag erscheint, trägt den schlichten Untertitel „Europas Krieg“. Vergessen kann man diesen Krieg nicht mehr. Sein Ausmaß verdrängen aber leider sehr wohl.
Die Menschen in der Ukraine, die Mayer da porträtiert, können weder das eine noch das andere. Der Krieg hat eingeschlagen in ihre Leben, ihren Alltag in graue Wolken aus Trümmerstaub, Rauch und Angst gehüllt. Egal, ob sie im Splittergraben das Pfeifen und die Einschläge der russischen Granaten hören oder in Städten hunderte Kilometer weiter im Westen versuchen, sich zwischen Raketenalarm und Frontnachrichten einen Fetzen Normalität zu bewahren.
Sie alle kämpfen, auf ihre Art

Mayer reist zu denen, die ausharren. Die bleiben wollen, die nicht fliehen können. Oder festhalten an einer Heimat, die nicht mehr dieselbe ist. Sie alle kämpfen, jeder und jede auf seine und ihre Art: mit der Waffe in der Hand, am Computer, als Mutmacher. Oder mit Lebensfreude und Pragmatismus, die sich nicht ersticken lassen.
Einige von ihnen hat der Bamberger vor dem Einmarsch der russischen Truppen getroffen, im Herbst 2021, Anfang des Jahres 2022. Ihre Angst vor einer weiteren Eskalation, einer Invasion, liest sich mit dem Wissen von heute noch beklemmender. Mit anderen spricht er kurz danach, im Frühling des Jahres, als Entscheidungen zwischen Fliehen und Kämpfen fallen, alte Erinnerungen an längst vergangen geglaubtes Leid wieder hochkommen, Hilfe verzweifelt gesucht und organisiert wird.

Mayer ist da, als der Krieg weitergeht, und auch das Leben trotzdem irgendwie weitergehen muss, als die Toten beigesetzt werden und die Überlebenden abwechselnd Angst vor einer verminten Zukunft und so etwas wie Hoffnung spüren. Die Bilder und Texte nehmen uns mit in Luftschutzkeller, durch zerbombte Straßenzüge. In eine Metrostation in Charkiw, wo Hunderte Zuflucht suchen und seit über zwei Monaten ausharren. In die Backstube von Psychotherapeutin Julia, die im Akkord Brötchen für die Kämpfer an der Front backt, von denen einer ihr Mann ist. Durch die Nacht mit dem gebürtigen Kasachen Sabyrzhan, der nun für die Ukraine kämpft. Weil er dort als Kind offen aufgenommen wurde. In einer Lagerhalle wartet er auf seinen Einsatz, während er bei Kerzenschein um einen gefallenen Freund trauert. Am Ende des nächsten Tags muss er eine weitere Kerze anzünden.
Es sind Bilder, typisch für Mayer in schwarz-weiß, deren Kontraste noch nach dem Betrachten als Nachbild flirren, wenn man die Augen schließt: Die Finger mit den lackierten Nägeln der jungen Soldatin an der Waffe, darüber ein Tattoo des „kleinen Prinzen“ auf dem Unterarm. Die fliegenden Haare von Elena, die in Odessa im Tangoschritt gegen das Trauma antanzt. Menschen vor Trümmern, die einst ein Zuhause waren, Trotz und Stolz und manchmal ein vorsichtiges Lächeln in den Augen.
Weit entfernt vom Talkshow-Geplauder
In Talkshows und Parlamenten, an Stamm- und Küchentischen, in Kommentarspalten auf Social Media werden im Jahr 2022 Dinge rund ums Thema Krieg diskutiert, mit denen man sich eigentlich gar nicht auskennen will: die große moralische Frage nach dem Einmischen, die Psyche Putins, die Stärken und Schwächen verschiedener Waffentypen, die Kosten von Söldnern. Wenn man schon nicht mehr wegschauen kann, wird eben geredet, als sei man Experte in Kriegsführung, über Zahlen, Landkarten, Strategien. Und dabei beginnt, fast unbemerkt, das neue Vergessen: das Vergessen der Leben und der Schicksale dahinter.
Mayers Texte und Bilder reduzieren diesen Krieg wieder auf das Wesentliche, das so viel schwerer zu fassen und so viel leichter zu verdrängen ist: Zwar enthält das Buch eine Karte der Ukraine, die russische Vormarschgebiete verzeichnet und eine Chronologie der Eskalation von der Maidan-Revolution im Jahr 2013 bis zum brutalen Angriffskrieg. Es geht in „Ukraine. Europas Krieg“ aber weder um die schlagkräftigste Waffe, noch um die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Es geht bei Till Mayer immer um die Gesichter hinter den Schlagzeilen. Immer um Menschen. Darum, was sie fürchten, was sie schützen wollen, wofür sie beten. Wofür sie bereit sind zu sterben oder zu töten. Und um ihre Sehnsucht nach Frieden.
Diese Menschen leben in der Ukraine. In Mayers Porträts kommen sie uns aber ganz nahe. Mehr noch: Ihre Geschichten könnten genauso gut unsere eigenen sein. Werde Putin in der Ukraine nicht gestoppt, schreibt Till Mayer in seiner Einleitung, drohe ein größerer, mindestens europaweiter Krieg. „So ist der Krieg in der Ukraine nicht weniger als Europas Krieg. Sein Ausgang wird unsere Zukunft mitbestimmen.“
Das Buch „Ukraine - Europas Krieg“ ist ab 26. Oktober im Handel erhältlich und ab sofort unter www.erich-weiss-verlag.de bestellbar.
Buch-Präsentation & Vortrag
Einen Ukraine-Vortrag mit zahlreichen Fotos hält Till Mayer am Mittwoch, 26. Oktober, 18.45 Uhr, im Gemeindezentrum Stankt Augustin in Coburg. Veranstalter sind der BDKJ und das Jugendamt der Erzdiözese Bamberg.
Das frisch erschienene Buch wird mit einem Bildervortrag am Donnerstag, 3. November, 19 Uhr, im Bamberger Kino „Odeon“ erstmals vorgestellt. Der Eintritt ist frei. Es wird um Spenden für Hilfsprojekte des Vereins „Bamberg:UA“ und die HMS-Sonderaktion „Ukraine“ gebetenen. Die Buchvorstellung wird von der „Partnerschaft für Demokratie in der Stadt Bamberg“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des BMFSFJ gefördert. Mitveranstalter sind die Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Universität Bamberg, der Verein „Bamberg:UA“ und die Ludwig-Delp-Stifung.
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