
Mit dem Song „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen stimmt der Pianist Arne Schmitt die Demonstranten gegen die Corona-Beschränkungen auf dem Lichtenfelser Schützenplatz ein. Und so mancher der rund 500 Teilnehmer singt lautstark mit. Die Freiheit ist dem Straßenmusiker offenbar so wichtig, dass er sich weigert, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Weil der während der Demonstration vorgeschrieben war, muss er jetzt mit einer Anzeige rechnen.

Die meisten Teilnehmer halten sich an die Corona-Regeln, auch wenn die Masken bei manchen sehr tief im Gesicht hängen. Und alle sind friedlich. In rund fünf Fällen prüft die Polizei, ob die vorgezeigten Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht gültig sind. Und gegen drei weitere Teilnehmer wird wegen unerlaubter Handyaufnahmen ermittelt.
Etwa die Hälfte der Teilnehmer kommt wohl aus dem Landkreis
Etwa die Hälfte der Teilnehmer kommt wohl aus dem Landkreis Lichtenfels, die übrigen aus ganz Oberfranken, wie im Gespräch und anhand der Autokennzeichen festzustellen ist. Ein buntes Völkchen ist es, von der Familie mit Kindern bis zu Rentnern, die meisten im mittleren Alter. Einige tragen selbst gebastelte Plakate mit Slogans wie „Pandemie? Wenn 99,2 Prozent nicht schwer erkranken“ oder Motiven aus dem Shop des Rechtsextremisten Sven Liebich.

„Stobt Markus Söder“, steht auf dem Schild, das die achtjährige Emma aus Altenkunstadt um den Hals trägt. Sie ist mit ihren Eltern zur Demo gekommen, um auf die Folgen der Beschränkungen und des Distanzunterrichts für die Kinder hinzuweisen. In goldglänzender Rettungsfolie hat sich ein Mann aus Neustadt bei Coburg gehüllt, mit einer goldenen Pinocchio-Nase und einer überdimensionalen Spritze in der Hand. „Wir wollen keinen Überwachungsstaat“, meint er mit Blick auf das Demonstrationsmotto „Für Frieden, Freiheit, Demokratie.“ Angesichts der geringen Zahl von schwer Erkrankten seien die Beschränkungen zu weitreichend. Seine Begleiterin signalisiert mit der Rechnung „2+5=5“ auf einem Schild, was sie von der Bewertung der Infektionszahlen hält.
Kritik an Aufhebung von Freiheitsrechten und Sorge wegen Impfung
„Uns werden die Freiheitsrechte genommen“, erregt sich eine Frau aus Coburg. Sie kenne niemanden der an Covid-19 erkrankt sei, fürchte sich nicht davor und werde sich auch nicht dagegen impfen lassen. Stattdessen vertraue sie auf ihr Immunsystem. Auch ihre 95-jährige Mutter, die sie und ihr Mann regelmäßig besuchten, fürchte sich nicht vor dem Virus, sondern vor einer Impfung. Als Impfskeptikerin outet sich auch eine 23-Jährige aus Bad Staffelstein, die im Gesundheitswesen arbeitet. Sie fürchte mögliche Nebenwirkungen und die Auswirkungen der Beschränkungen mehr als das Virus.

Weil sie ihre Existenzängste mit anderen Menschen diskutieren wolle, ist eine 29-Jährige Lichtenfelserin zur Demo gekommen. Die Form der Veranstaltung sei ihr weniger wichtig. Als Selbstständige in der Veranstaltungsbranche sei ihre berufliche Zukunft durch den Lockdown jäh beendet worden. Und Staatshilfe habe sie nicht beantragt, da sie die Voraussetzungen nicht erfülle. Ihr Freund, ein 28-Jähriger aus Kronach, trägt eine FFP2-Maske mit der Aufschrift „Staubschutz.“ Die Maskenpflicht findet er unsinnig, weil er meint, dass nur FFP3-Masken vor Viren schützen und ein dauerhaftes Tragen der Masken die Gesundheit beeinträchtigen könnte.
„Es wird Zeit, dass wir uns wehren gegen das, was man uns antut“, heizt Veranstalter Bernd Grau als Moderator auf einem Autoanhänger als Bühne die Menge auf. Im nächsten Atemzug fordert er sie auf, sich an die Auflagen zu halten, weil sonst die Versammlung aufgelöst werde. Einerseits kritisiert er die Polizei, weil sie in Wohnungen einbreche, um Partys zu unterbinden, anderseits lobt er die gute Zusammenarbeit mit den Beamen bei den Demos.
Sie wollen keine Corona-Leugner oder AfD-Sympathisanten sein

Wichtig ist es ihm, nicht als Mitglied der AfD angesehen zu werden, obwohl die Partei die Corona-Demos im vorigen Jahr initiiert hatte und deren Bundestagskandidat Theo Taubmann der einzige Politiker ist, der auf der Rednerliste steht. „Theo Taubmann ist mir am Arsch lieber als Gerhard Herrmann im Gesicht“, kritisiert er die Kommentierung der Demos durch das Obermain-Tagblatt.
Der AfD-Mann nutzt die Versammlung, um vor einer drohenden Staatspleite aufgrund der durch Schulden finanzierten Corona-Hilfen zu warnen und die Politik der Bundesregierung zu kritisieren. „Ich bin keine Corona-Leugnerin“, betont Rednerin Céline Lemoine, die bereits bei der ersten Demo Ende Januar aufgetreten war. Auch wolle sie ihren Protest nicht als herzlos gegenüber den Erkrankten verstanden wissen, sondern als Warnung vor den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Beschränkungen, betont die 22-Jährige. Dabei bezieht sie sich auf eine Untersuchung des Stanford-Professors John Ioannidis aus dem ersten Lockdown, die mangels Daten von der Mehrheit der Wissenschaftsgemeinschaft als überholt angesehen wird.

An schlechtes Kabarett erinnert der Auftritt von „Erik aus Bamberg“, der versucht, auf Widersprüche bei den Corona-Beschränkungen aufmerksam zu machen. „Warum haben Geimpfte Angst vor nicht Geimpften?“, wundert er sich und warnt vor den finanziellen Folgen, die zu einem „Lastenausgleich“ wie nach dem Zweiten Weltkrieg führen könnten, was manchen die Hälfte seines Eigenheims kosten könne. Von Kritik an der Bundesregierung bis hin zur Verunglimpfung des Bundespräsidenten wegen dessen Mahnung zum Gedenken an die Gräuel der Nazi-Diktatur und Vergleichen zu den Terroranschlägen des 11. Septembers reicht das Spektrum der Beiträge. Die Menge, die im Laufe der zweieinhalbstündigen Vorträge sichtlich schrumpft, klatscht bei jedem markigen Spruch.

Mit einer Plakataktion unter dem Motto „Solidarisch durch die Krise“ reagiert das Aktionsbündnis „Lichtenfels ist bunt“ auf den Aufmarsch. Rund 30 Plakate mit zum Nachdenken anregenden Slogans von „durch Rücksichtnahme, mit Abstand & Maske“ über „mit Menschlichkeit“ und „an der Wissenschaft orientiert“, stellten sie sich dem lautstarken Protest gegenüber. Rund eine halbe Stunde lang hatten sich Kreisrätin Monika Faber (SPD) und sieben Mitstreiter mit Plakaten an der Mühlbachbrücke aufgestellt, um die Demonstranten zur Vernunft zu mahnen. Dann stellten sie auf Drängen der Polizei, keine Gegendemonstration zu provozieren, ihre Aktion ein. Man habe sich bewusst zurückgehalten, um das Infektionsrisiko durch die Demonstration nicht noch weiter zu erhöhen, betonte Monika Faber. „Ich hoffe, dass wir mit dieser Aktion etwas dazu beitragen können, dass die Menschen bei all dem Wunsch nach Lockerung und Normalität weiterhin die Vorsicht und Geduld nicht verlieren, bis ein umfangreicher Impfschutz in der Bevölkerung zu einer Verbesserung der Lage beiträgt“, sagt die Bad Staffelsteiner Stadträtin Sandra Nossek (SBUN).
Schlagworte