
Gut zwei Minuten sollte der Applaus am Ende dauern. So etwas hat seine Gründe. Der Ausflug, den Stephan Schultz und Sabina Chukurova via zweier Celli und Cembalo unternahmen, war erhellend. Für das Wissen und das Gemüt.
Bach und Frankreich – ein geschickter Programmtitel. Denn die erste Konzerthälfte gehörte Johann Sebastian und die zweite all den zeitgenössischen Einflüssen und Einflussnehmern, die links des Rheins auf ihn wirkten und selbst schon Größen waren. Als da wären Louis Marchand, Francois Couperin oder Joseph Bodin de Boismortier.
Eine Art Duell unter zwei großen Komponisten
Sie waren nicht nur Musiker, sie waren mitunter auch Teil ziemlich guter Geschichten, an denen ein gut gefüllter Saal im Stadtschloss seine Freude hatte. Ein Beispiel: 1717 begegneten sich Marchand und Bach in Dresden, der eine hatte schon einen großen Namen, der andere war dabei, sich einen solchen zu machen. Chukurova erzählte vor reichlich Besuchern davon, wie sich die beiden Männer aus dem Stegreif in Abendgesellschaft Noten zuwerfen und ausschmücken sollten. Eine Art Duell unter musikalischen Gentleman mit dem Ziel, eine Gigue oder eine Fuge zu schaffen. Doch Marchand kniff möglicherweise, und die Welt war um eine Anekdote reicher.
Derlei wurde erzählt, und da Chukurova und Schultz für sich oder als Duett auftraten, ist eine solche Musik-Informations-Mischung wohl Infotainment zu nennen.
Gut aufeinander eingestimmte Füllhörner musikalischen Wissens

Überhaupt: Schultz und Chukurova, zwei interessante Biografien. Er Leiter der hiesigen Musikschule, Begründer des Leipziger Barockorchesters, Künstlerischer Leiter des französischen Barockensembles „Le Concert Lorrain“, auftrittserprobt an namhaften Stätten wie Philharmonien, dem Concertgebouw in Amsterdam, der Alten Oper Frankfurt oder dem Musikverein Wien. Sie hingegen arrivierte Pianistin, Absolventin der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, Preisträgerin internationaler Wettbewerbe, Kammermusikerin und Cembalistin. Beide Füllhörner musikalischen Wissens, beide gut aufeinander eingestimmt.
Ein Exempel: Bachs Sonate für Cembalo obligato und Violoncello piccolo, BWV 1027. Da waren diese Momente, in welchen Schultz Töne in der Schwebe zu halten hatte, um dem Spiel des Cembalos, das schwerlich mit Lautstärken variieren kann, die sanfte Dominanz zu erhalten. Höchst hörenswert wurde auch das Adagio des Werks ausgestaltet, dessen Thema nur vier Noten hatte, die weitergereicht und umspielt wurden und so etwas wie die Kunst raffinierter Begrenztheit in Töne packten. Auch hier: Während Chukurova spielte, hatte Schultz Töne ab- und anschwellen zu lassen. Und bei solcher Gelegenheit kommt einem etwas erhellend in den Sinn: Bachs Zeit war eine Zeit des Lauschens, nicht bloß des Hörens.
Das Duo hätte auch länger überziehen dürfen
40 Adjektive. So viele glaubte eine Besucherin für das Minenspiel Schultz' während des Abends ausgemacht zu haben. Tatsächlich fällt bei dem Mann auf, dass er Noten zu kommentieren scheint, dass er die Freude an der Musik oberhalb des Kragens zur Schau trägt. Ergriffen, raffiniert, verschlagen, erwartungsvoll, spöttisch, neckisch – nur sechs von all den Adjektiven, die während seines Musizierens zum Ausdruck kamen. Und Chukurova? Stiller, weniger expressiv, aber genauso präzise. Unvergesslich dürfte die Luftigkeit bleiben, die sie solo François Couperins (1668-1733) Rondeau Les Bergeries beigab, ein Werk aus verspielter Getragenheit.
Eigentlich habe man nur eine Stunde spielen wollen, aber das klappte nicht, und so entschuldigte sich Schultz vor allem bei den Kindern im abendlichen Saal: „Wir überziehen um 11,3 Minuten.“ Das Duo hätte auch länger überziehen können, niemand im Saal wäre traurig gewesen.
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