LICHTENFELS

Häggbergs Logbuch: Häggbergs Logbuch: Über Umwege nach Lummerland

Häggbergs Logbuch

Markus Häggberg beschäftigt in seiner dreimal wöchentlich erscheinenden Kolumne augenzwinkernd mit Alltagssituationen. Sein Tagebuch, immer am Mann, quillt förmlich über von lustigen Begebenheiten. Diesem Mann entgeht nichts:

„Logbuch-Eintrag: 23:24 Uhr (MEZ). Ich war angehalten, Bilanz zum Corona-Tagebuch zu ziehen (geschehen). Corona ist aber nun vorbei und so brechen neue Zeiten an. Wie ich hörte, ist ja jetzt Scharlach wieder auf dem Vormarsch. Was ich sagen will, ist, dass mir das tägliche Schreiben immer Freude gemacht hat. Aber heute verhielt es sich ein bisschen sperrig. Es passierte einfach lange nichts.

Niente. Nada. Nix. Ich verließ die Wohnung, um einem Umstand zu begegnen, der mir noch unbekannt war. Mir begegnet aber kein unbekannter Umstand. Stattdessen: Angelika. Die hat Umstände gemacht und die kenne ich schon. Da wechselte ich lieber die Straßenseite.

Wie ich so vor mich hinging, begann ich mit den obligaten Selbstgesprächen. Woody Allen empfahl das ja zur Förderung von Kreativität. Abgesehen davon besitzen Selbstgespräche den enormen Vorteil, dass man sich für die eigenen Antworten beliebig lange Zeit nehmen kann, ohne dass ein Gegenüber die Augen verdreht.

Ich trage Lederjacke, frage mich mitten im Gespräch aber, ob ein Trenchcoat für nächtliche Spaziergänge nicht angebrachter wäre. In Verbindung mit so einer Groucho-Marx-Faschingsbrillen-Maske muss das umwerfend aussehen. Ich bat mich für diese gedankliche Abschweifung um Entschuldigung und fuhr mit meinen Betrachtungen zu möglichen Zusammenhängen zwischen Dürrenmatt und New-Orleans als Wiege des Jazz fort.

Aber so viele Runden ich auch um den Marktplatz drehte, ich kam einfach auf keine Zusammenhänge. Ich stellte fest, dass das Leben eines Kolumnisten auch hartes Brot sein kann. Dabei fiel mir ein, dass ich noch Brot brauchte und später unbedingt duschen müsste, weil ich meine Einkaufszettel immer unter der Dusche schreibe. Wenn dabei dann noch das Fenster offen steht und Deep Purple spielen, hilft mir das, mich an den Kühlschrank-Inhalt zu erinnern. Außerdem habe ich da so einen Trick. Wenn ich nämlich unter der Dusche beim Einkaufszettel-Schreiben einen Handstand mache, hilft mir das nicht nur bei der Konzentration, sondern auch dabei, an entlegenen Stellen für Sauberkeit zu sorgen.

Wie ich so darüber nachdachte, stellte ich fest, dass ich mich vor lauter Grübelei nach Oberwallenstadt verlaufen hatte. Ich trottete weiter in Richtung Baggersee. So kam ich gerade pünktlich zum Auftauchen des gelben U-Bootes, aus dem die Beatles ausstiegen, um „We all live in a yellow submarine“ zu singen. Eine Zwergin mit rotem Mantel und scharfem Messer schwenkte hier eine Ausgabe der Washington Post über ihrem Kopf. Wie ich erfuhr, recherchiert man dort gerade zu Nixon und Watergate. Irgendwie beschlich mich der Verdacht, dass hier etwas falsch läuft und dass ich womöglich träumen könnte.

Also versuche ich, mich auf das Aufwachen zu konzentrieren. Über Umwege nach Lummerland, in den Wilden Westen und die Adelgundiskapelle gelang es mir beim vierten Anlauf. Als ich erwachte, stelle ich fest, dass das Corona-Tagebuch nach all den Jahren auch seine Spuren bei mir hinterlassen hatte. Der Franzose nennt diese berufliche Verformung „Déformation professionnelle“, der Lichtenfelser kommentiert schlichter mit „Rindsbimbl“.

Wie ich so im Bett lag, stellte ich fest, dass ich ja gar kein Corona-Tagebuch mehr schreiben muss. Aber das mit dem Einkaufszettel unter der Dusche ließ ich mir nicht nehmen.

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