LICHTENFELS

Gespräche suchen, Ablenkung zulassen

Vier von sechs Helfern: Clemens Grünbeck, Steffen Biskupski, Claudia Ruß und Simon Croner. Foto: Markus Häggberg

Einfach mal reden, Kummer loswerden, über Ängste sprechen – die Gelegenheit dazu sollten am Montagabend rund acht Lichtenfelser nutzen, denen das vor Tagen begangene Tötungsdelikt in der Innenstadt seelisch schwer zusetzt.

Gegen 20 Uhr waren alle Besucher gegangen. Im obersten Stockwerk des Katholischen Pfarrzentrums brannte zwar noch Licht, aber im Grunde waren die vier restlichen Helfer hier schon im Aufbruch begriffen. Rehabilitationspsychologin Miriam Pickl-Lowig und Doris Werberich vom Krisendienst Oberfranken waren schon vorher gegangen. Zwei Stunden lagen hinter den Helfern, in denen es Menschen wichtig war, mit ihnen zu reden, sich mitzuteilen. Einer der Helfer war Clemens Grünbeck, Pastoralreferent der katholischen Notfallseelsorge. Er bittet darum, auf keine Fragen eingehen zu müssen, deren Beantwortung Rückschlüsse auf die sich hier anvertraut habenden Personen ergeben könnten. Es geht um Vertraulichkeit.

Und er gibt zu, dass man mit dem, wie und was man heute angeboten hat, „absolut keine Erfahrung“ hatte. Deshalb könne man auch nicht sagen, ob acht Besucher nun viele oder wenige Besucher waren. „Unsere große Sorge war, dass Leute kommen, die das Angebot für andere Zwecke instrumentalisieren könnten“, erklärt er auf voreilige Schlüsse bezüglich einer Täterherkunft und dergleichen anspielend. Tatsächlich aber seien nur Menschen mit eigenen Ängsten gekommen. Die brachten zumeist ihre Betroffenheit vor, verbunden mit der Frage, wie sie auch mit dem Gefühl von Angst umgehen sollten.

Dann bringt Grünbeck das Bild von einem Ruderboot mit zwei gegensätzlichen Rudern ins Spiel. Es steht für dafür, wie man bei solchen Ängsten das Leben führen sollte: einerseits das Gespräch suchen, miteinander reden oder sich auch Gedanken notieren, andererseits aber auch das Gegenteil dessen gezielt praktizieren: Hobbys pflegen, Ablenkung zulassen. „Wenn der Alltag gepflegt wird, gibt uns das einen Rahmen, der uns die Ablenkung verschafft, nicht 24 Stunden an sieben Wochentagen nachzudenken“, führt Schulpsychologe Steffen Biskupski aus. Zu ihm gehört ein Kürzel, das seinen Namen wirklich verdient: KIBBS. Biskupski ist vom Kriseninterventions- und -bewältigungsteam bayerischer Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Auch Claudia Ruß gehörte zu den sechs Ansprechpartnern des Abends. Sie ist Gemeindereferentin und neu in der Notfallseelsorge. Man habe sich, so erzählt sie, „tatsächlich überlegt, wie das Setting“ des Abends sein sollte, also wie sich für und mit den Besuchern eine gelöste Atmosphäre schaffen ließe. „Wir haben einen Kreis gebildet, um den Zugang zueinander zu erleichtern, damit Nähe entsteht“, schildert sie das, was gegen 18 Uhr hier oben in dem hellen, überwiegend in weiß gehaltenen und mit Dachschrägen versehenen Raum geschah, an dessen Ende ein Flügel steht.

Auf die eigene Befindlichkeit achten

Wie sie das sagt, taucht die Frage auf, worin die Gefahren liegen könnten, wenn jemand aufgrund schwerer Belastung Störungen an sich wahrnimmt und ihnen nicht begegnet. Simon Croner verweist in diesem Fall auf den „Krisendienst Oberfranken“. Der Mann ist Beauftragter der Evangelischen Notfallseelsorge und kennt als solches selbst fürchterliche Anblicke durch die Begegnung mit dem Tod. Herzrasen, erhöhte Stressreaktion, Übelkeit, akute Belastungsreaktionen zählt er als Symptome eines Erlebnisses auf und Biskupski springt ihm in dieser Frage bei, darauf verweisend, dass solche Erscheinungsbilder nach mehreren Wochen chronisch werden können. „Wenn es nach sechs Wochen nicht besser wird, sollte man sich Hilfe holen“, so der im Schuldienst stehende Mann. Den Besuchern konnte er aber auch dadurch helfen, dass er ihnen verdeutlichte, dass ihre Ängste normal seien, eben „weil die Seele arbeitet“.

Die heile Welt hat Risse bekommen

Was den Abendbesuchern vor allem zusetzte, so Croner, war „das Gefühl, dass die Geborgenheit einen Knacks gekriegt hat“. Will sagen: Was man aus Großstädten kennt, kam auch in die für heile Welt gehaltene Provinz. Doch die Hilfe, die gesucht wurde, konnte auch gegeben werden. „Die Menschen sind angespannt gekommen und gelöst gegangen“, schildert Ruß und Grünbeck zog gleichfalls positive Bilanz. Er fand es schön, „dass die Menschen, als sie gegangen sind, sich bedankt haben“. Doch dann weist das Team für die Menschen in Lichtenfels noch auf etwas hin, das ihm sehr am Herzen liegt. Es sind Notfallnummern. Krisendienstes Oberfranken 0800/655 3000, die Koordinationsstelle Psychotherapie 0921/880 99 40410 und die Telefonseelsorge 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

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