
Im Eingangsbereich von Mode Deuerling trägt die Dame ohne Unterleib frisches Grün. Kombiniert mit ein wenig Schlangenlook. Der Sommer kann kommen. Endlich! Und mit ihm ein wenig Normalität. Auch wenn nur Köpfe von Schaufensterpuppen im Geschäft von der Maskenpflicht befreit sind.
„Gott sei Dank, wir haben wieder offen“, sagt Gerhard Deuerling. Mit seinem schwarzen Mund-Nasen-Schutz sieht der Geschäftsmann ein wenig verwegen aus. Neben ihm steht Tochter Andrea Deuerling–Liebetruth mit hellblauer Maske und nickt. Sie leitet das Damenmoden-Geschäft. Seit über 75 Jahren prägt die Familie die Lichtenfelser Geschäftswelt.
Gerhard Deuerling hätte allen Grund, ein langes Klagelied anzustimmen. Sechs Wochen Lockdown, während die Frühlingsware schon angeliefert war. Während der „Betriebskosten-Zähler“ für die drei Modegeschäfte im Herzen der Stadt weiter ratterte.
Und auch jetzt kommen die Kunden noch nicht in der gleichen Zahl wie im Vorjahr. „Den Ausfall, den werden wir dieses Jahr nicht mehr reinholen. Das ist natürlich bitter“, sagt Gerhard Deuerling. „So lange die Therme nicht öffnet, fehlen auch die dortigen Besucher, von denen so mancher gerne zu uns kam“, ergänzt er.
Aber er relativiert, weil es anderen Einzelhändlern schlechter geht. „Wir mussten wenigstens keine Miete zahlen, die Geschäfte sind im Familieneigentum“, erklärt er. Aber das auch sein Familienunternehmen einen noch deutlich längeren Lockdown unbeschadet überstanden hätte, das zieht er in Zweifel. „Corona ging und geht den Einzelhändlern an die Substanz“, erklärt er.

Nun ist Gerhard Deuerling keiner, der kopflos reagiert. Der 80-Jährige hat als Kind die Bombardierung des Güterbahnhofs in Lichtenfels mitbekommen. Die Flucht in den Luftschutzkeller, wenn die Sirenen heulten. An den abgedeckten Toten, dessen Füße unter einer Decke hervorsahen, daran kann er sich bis heute erinnern.
„Das war damals eine ungleich größere Katastrophe“, sagt er. Er erzählt, wie seine Familie im Geschäft nach dem Krieg Fallschirmschnüre verkauft hat. „Die haben die Frauen aufgetrennt, um Strickmaterial zu haben“, berichtet er. Und davon, wie kompliziert es war, einen Laster aufzutreiben, Diesel zu beschaffen, um die Schnüre abzuholen. „Das ging nur durch Zusammenarbeit. Jeder war auf den anderen angewiesen. So haben wir es gepackt, durch Fleiß und Zusammenhalt“, erklärt der Geschäftsmann.
Treue Stammkunden halfen weiter
Das taugt dem 80-Jährigen auch heute noch als Konzept. Er baut auf die Treue der Stammkunden. Tochter Andrea Deuerling–Liebetruth macht da ein Kompliment. „Viele haben uns unterstützt. Online Gutscheine gekauft. Das hat geholfen. Nicht nur finanziell. Es hat uns Mut gemacht. Anderen Einzelhändlern ging es ähnlich. Wie wollen uns da für die Unterstützung herzlich bedanken“, sagt sie.
Ihr Vater nickt. „Das war wichtig. Ich ging jeden Tag ins Geschäft. Dort war dann alles dunkel und menschenleer. Das war schon sehr gespenstisch“, meint der 80-Jährige.
Nicht als ein Gespenst wollen die Deuerlings die Pandemie abtun. „Gesundheit geht vor Profit. Und Maßnahmen mussten ergriffen werden. Auch wenn es uns als Geschäftsleute hart getroffen hat. Es war notwendig. Wir müssen uns jetzt auch weiter verantwortungsbewusst verhalten. Eine zweite Welle darf es nicht geben“, betont der Geschäftsführer.

Tochter und Vater können nur mit den Kopf schütteln, wenn sie an die Demos der AfD auf dem Lichtenfelser Marktplatz denken: „Verstehen diese Leute denn nicht, was eine Pandemie bedeutet?“ „Was nun zählt, ist, dass wir in der Stadt zusammenhalten. Dass die Lichtenfelser weiter in ihren Fachgeschäften einkaufen und nicht mehr und mehr online ordern. Darauf kommt es jetzt an. Die Menschen haben es selbst in der Hand, wie die Zukunft ihrer Innenstadt aussehen soll. Was ihnen eine persönliche Beratung wert ist“, ruft Deuerling ins Bewusstsein
.Menschen haben Zukunft ihrer Innenstadt in der Hand
Als Gerhard Deuerling 18 Jahre alt wurde, bekam er seinen „Lappen“ in die Hand gedrückt. So lautete damals der Spitznamen für den Führerschein. Der war ein mächtiges graues Stück Papier mit ungewöhnlich hohem Stoffanteil. Der Teenager durfte sich dann an das Steuer des familieneigenen Ford M12 setzen. Über dem Kühlergrill, da war eine Erdkugel angebracht. Das passte, denn der junge Mann fühlte sich wie jemand, dem die ganze Welt offen stand. In den Großstädten klafften noch immer Lücken in Häuserzeilen, Schuttberge erzählten von einstigen Gebäuden. „Aber alles ging vorwärts, steil nach oben“, sagt Deuerling.
„Wir stehen alle vor schwierigen Zeiten. Doch schwierige Zeiten meistert man immer mit Zuversicht“, ist sich Deuerling sicher. Wenn man lernt, wieder mehr zusammenzuhalten, dann hätte Corona am Ende noch etwas Gutes bewegt.
Rückblick
- Corona-Tagebuch: Ein Teller voller Linsen
- Lichtenfelser Feuerwehrleute fahren ins Erdbebengebiet
- Corona-Tagebuch: Häggberg, ein Gesetzloser?
- Kiga-Leiterin Ines Mai: Vom Lockdown und Kinderlachen
- Corona-Tagebuch: Der Kumpel, ein messerscharfer Analyst
- Rainer Glissnik: "Und plötzlich ist Corona da"
- Bis zu 6250 Euro für barrierereduzierende Umbauten
- Anmeldung im Impfzentrum: Lehrstück digitaler Bürokratie
- Corona-Tagebuch: Goldzähne und Freundschaft
- Corona-Tagebuch: Ein leises Servus für Gotthilf Fischer
- Tierheim Lichtenfels: Klamme Kasse als Corona–Folge
- Roberto Bauer und Lockdown: Eiszeit im Reich der Mode
- Corona-Tagebuch: Traum, Strumpfmaske und Tresorraum
- Hospizverein Lichtenfels schenkt Nähe trotz der Pandemie
- Corona-Tagebuch: Lebenslanges Lernen und das „t“
- Hochschule Coburg: Ein Schritt zur Heilung von Alzheimer
- Corona-Tagebuch: Ernüchterung beim Waldspaziergang
- Auf Alleinunterhalter Peter Hofmann warten die Senioren
- Corona-Tagebuch: Hühnchen vor der Sperrstunde
- Erdbeben in Kroatien: Feuerwehr vom Obermain hilft
- Corona-Tagebuch: Flaschensammlerin mit einem Ziel
- Auch Corona hält Weihnachtstrucker nicht auf
- Corona-Tagebuch: Die Wahrheit über Corona
- Helfen macht Spaß: Ein Happy-End am Obermain
- Corona-Tagebuch: Mit Fischstäbchen und der Modelleisenbahn
- Alte Telefonzelle in Schney: Ein Zeitzeuge ganz in Feuerrot
- Corona-Tagebuch: Giselas Stollen-Geheimnis
- Hochschulforschung Coburg: Ein Prinz im Besprechungsraum
- Zu kalt zum Kuscheln: die Schneehasen aus Reundorf
- Corona-Tagebuch: Warum Weihnachten heuer so schlimm war
- Wie die DJK Franken Lichtenfels dem Lockdown trotzt
- Markus Häggberg über einen Bekannten aus Kindertagen
- Corona-Tagebuch: Markus Häggberg im Rollstuhl
- Corona-Tagebuch: kein echter Weihnachtsgedanke
- Corona-Tagebuch: „Wurstel“ gegen Alltagstristesse
- Corona-Tagebuch: Bier und andere Chancen im Leben
- Esther Schadt mit ganzem Herz Organistin
- Corona-Tagebuch: Der Sinn des Lebens
- Bärbel Laufer: Verkäuferin und Zuhörerin
- Lichtblicke für Kronach
- Uni Bamberg: Peter Riedelberger holt den nächsten Grant
- Helfen macht Spaß: Spendenrekord am Obermain
- Corona-Tagebuch: Bitte stets Präzise sein
- Corona-Tagebuch: Sehnsuchtsort und nüchterne Realität
- Schön Klinik: „Jerusalema“ statt Corona-Blues
- Corona-Tagebuch: Alles in Butter bei Dieters Mutter
- Bewegung zu Corona: Raus in die Natur, oder einigeln?
- Wette der Raps-Stiftung: So klappt es mit neuen Helfern
- Corona-Tagebuch: Taki-Taki-Taki und ab aufs Klo
- Nicole Gründel hilft mit Improvisationstalent
Schlagworte