LICHTENFELS

Beim Kopfstand unter der Dusche wird der Trenchcoat abgelegt

Liebes Corona-Tagebuch, ich bin angehalten, mal ein bisschen Bilanz zu dir zu ziehen. Es brechen für dich nämlich neue Zeiten an, weil Corona ja schließlich vorbei ist. Und vielleicht heißt du bald auch anders. Wie ich hörte, ist ja Scharlach jetzt wieder auf dem Vormarsch.

Was ich sagen will, ist, dass du mir immer Freude gemacht hast und es immer ein Vergnügen war, dich zu schreiben. Aber heute verhältst du dich ein bisschen sperrig. Es passiert einfach nichts. Niente. Nada. Nix.

Ich verlasse die Wohnung, denn ich will einem Umstand begegnen, der mir noch unbekannt ist. Mir begegnet aber kein unbekannter Umstand. Stattdessen: Angelika. Die hat Umstände gemacht und die kenne ich schon. Da wechsele ich lieber die Straßenseite.

Wie ich so vor mich hingehe, beginne ich mit den obligaten Selbstgesprächen. Woody Allen empfahl das ja zur Förderung von Kreativität. Abgesehen davon besitzen Selbstgespräche den enormen Vorteil, dass man sich für die eigenen Antworten beliebig lange Zeit nehmen kann, ohne dass ein Gegenüber die Augen verdreht.

Ich trage Lederjacke, frage mich mitten im Gespräch aber, ob ein Trenchcoat für nächtliche Spaziergänge nicht angebrachter wäre. In Verbindung mit so einer Groucho-Marx-Faschingsbrillen-Maske muss das umwerfend aussehen.

Ich bitte mich für diese gedankliche Abschweifung um Entschuldigung und fahre mit meinen Betrachtungen zu möglichen Zusammenhängen zwischen Dürrenmatt und New-Orleans als Wiege des Jazz fort. Aber so viele Runden ich auch um den nächtlichen Marktplatz drehe, ich komme einfach auf keine nennenswerten Verbindungen.

Ich stelle fest, dass das Leben eines Kolumnisten auch hartes Brot sein kann. Dabei fällt mir ein, dass ich noch Brot brauche und später unbedingt duschen muss, weil ich meine Einkaufszettel immer unter der Dusche schreibe. Wenn dann noch das Fenster offen steht und Deep Purple spielt, hilft mir das dabei, nur ja nichts zu vergessen.

Außerdem habe ich da so einen Trick. Wenn ich nämlich unter der Dusche beim Einkaufszettel-Schreiben einen Handstand mache, hilft mir das nicht nur bei der Konzentration, sondern auch dabei, an entlegenen Stellen für Sauberkeit zu sorgen.

Wieso taucht das gelbe U-Bott aus dem Baggersee auf?

Wie ich so darüber nachdenke, stelle ich fest, dass ich mich vor lauter Grübelei nach Oberwallenstadt verlaufen habe. Ich trotte weiter in Richtung Baggersee. Ich komme gerade pünktlich zum Auftauchen des gelben U-Bootes, aus dem die Beatles aussteigen, um „We all live in a yellow submarine“ zu singen. Eine Zwergin mit rotem Mantel und scharfem Messer schwenkt hier eine Ausgabe der Washington Post über ihrem Kopf. Wie ich erfahre, recherchiert man dort gerade zu Nixon und Watergate.

Irgendwie beschleicht mich der Verdacht, dass hier etwas falsch läuft und dass ich womöglich träume. Also versuche ich mich auf das Aufwachen zu konzentrieren. Über Umwege nach Lummerland, in den Wilden Westen und die Adelgundiskapelle gelingt es mir beim vierten Anlauf.

Als ich erwache, stelle ich fest, dass das Corona-Tagebuch nach all den Jahren auch seine Spuren bei mir hinterlassen hat. Der Franzose nennt diese berufliche Verformung „Déformation professionnelle“, der Lichtenfelser kommentiert schlichter mit „Rindsbimbl“.

Wie ich so im Bett liege, stelle ich fest, dass heute Samstag ist und ich gar kein Corona-Tagebuch schreiben muss. Aber das mit dem Einkaufszettel unter der Dusche lasse ich mir nicht nehmen. Vielleicht lege ich dafür sogar meinen Trenchcoat samt Groucho-Marx-Faschingsbrillen-Maske ab.

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