LICHTENFELS

Unnachgiebig und kompromisslos

Zwei harmlos gutaussehende Jungs aus Thüringen erzählen als Großstadtsinfonie von Liebe, Hass, Chaos, Anarchie, Krieg un... Foto: Birgit Kunig

„Großstadtsinfonie“ am Donnerstagabend im Paunchy-Cats in Lichtenfels ist nicht nur eine Aneinanderreihung ungewöhnlicher, brutaler Wirklichkeiten in ihren Gedichten, Geschichten, Liedern und Videos, die unsere grausame Welt und Gesellschaft widerspiegeln. Ein multimediales Programm aus Literatur, Video und Musik, dem man sich nur schwer entziehen kann: albtraumhaft, unnachgiebig und kompromisslos.

Zwei harmlos gutaussehende Jungs aus Thüringen erzählen von Liebe, Hass, Chaos, Anarchie, Krieg und Terror. Was sie von sich geben, ist voller Weltschmerz und doch hoffnungsvoller Energie für eine bessere Welt. Sie wollen aufrütteln, aufwühlen, wachsam und nachdenklich machen. Harter Tobak für ein „Normalo-Publikum“, das womöglich noch Humor und Belustigung oder Satire erwartet hat. Es sind wenige – aber die wenigen, die gekommen sind, sind komplett eingenommen, geplättet und auf verhaltene Weise begeistert.

„Hochinteressant und überaus wahr“ schildert ein älteres Ehepaar. „Natürlich etwas überspitzt, aber ohne Übertreibung geht es nicht.“

Grausame Wirklichkeit

Grausame und brutale Videos im Hintergrund zeigen Kriegs- und KZ-Opfer. Die Künstler sind in ihrer Art doch hochsensibel wenn auch wortgewaltig und einprägsam in ihren Gedichten und Liedern. Sie versuchen, dem Zuhörer das Begreifen zu lehren. Mit offenem Mund sitzt man da, und weiß, dass alles echt ist, und dass sie recht haben.

Henrik Neukirchners größtes Anliegen ist es, „dass man nicht abstumpft“. Dreimal seien Sie schon in Lichtenfels aufgetreten, er mag die Stadt, sagt er - zumal man sie aufgrund seiner Ringerkarriere schon als Jugendlicher kenne. „Und wie schön ordentlich und aufgeräumt am Marktplatz beim Weinfest alles ist“, bewundert er verschmitzt. Dort steppt gerade der Bär, und es ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb im Paunchy Cats so wenig los ist.

Auch wenn der Anfang recht derb anmutet:„Steck dir die Tulpe in den Arsch und warte bis sie sich öffnet.“ Doch Hendrik Neukirchner beweist sich als Künstler anschließend mit ernst zunehmender Kritik, rezitiert aber auch leise Töne über Liebe und Verlassenheit.

Er, der Wort- und Stimmgewaltige, im krassen Gegensatz zum ruhenden Gegenpol, dem Gitarristen Thomas Schlauraff, dessen knorrigen bisweilen atmosphärischen Riffs nicht einfach nur Beiwerk zu den schlauen, zynischen Texten sind. Sondern gleichsam über sich selber hinauswachsend und oft über die Schmerzgrenze hinausgehend - seine im Wechsel melodiösen wie verstörenden Arrangements auf der E-Gitarre und diversen Soundverzerrern.

Verzerrt und verquer wie unsere Gesellschaft und das Vergessen, was Neukirchner im Lied „Weimar“ besingt „da liegt es - in Buchenwald mein Gewissen! Jeden Morgen stehe ich auf, gehe und komme und falle taub ins Bett, stumm und blind.“

Wenn Neukirchner in oft hässlich anarchischer Bildsprache mit überzeichnenden Metaphern und abstoßenden oft vulgären Überzeichnungen jongliert, läuft es einem oft eiskalt über den Rücken. Ganz besonders beim Gedicht „Kreuzfahrtkreuzzug“ dafür beispielhaft eine Ostseekreuzfahrt: „Görings Erben fräsen sich von Buffet zu Buffet, furzen und rülpsen, marschieren im Gleichschritt durch Talinn, fallen ein in St. Petersburg“.

Und er kann dabei leider zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Balsam für die Seele bieten. Immer wenn man zwischendurch mal versucht zu verschnaufen oder sich zurückzulehnen, um die Poesie auf sich wirken zu lassen, holt er den nachdenklichen Geist wieder ein. Und wirft einen schmerzvoll in die aus den Fugen geratene, reale Welt zurück - und man stellt fest, dass es leider keine Medizin gibt. Obgleich die Hoffnung auf ein alternatives Heilmittel immer mitschwingt, auch im Publikum.

Eindringliche Symbolik

„Ich hoffe, ihr habt es euch gut überlegt, dass Ihr noch da seid“, ertönt Neukirchner in smarter, humorvoller Augenscheinlichkeit. Bereits in der Pause wurde angekündigt, dass nachfolgendes Filmmaterial über Kriegsgräuel keine Fakes sind und alles aus öffentlichen Quellen stamme. Und schon wird man von grausamen Videos überrollt zum bekannten Song „Selbst wenn ein Kind nicht mehr lacht wie ein Kind, dann sind wir jenseits von Eden“. Es ist auszuhalten, weil man weiß, dass man es aushalten muss, nicht wegschauen, wegducken darf. Und es ist erstaunlich, wie schnell jeder, der zunächst abgestoßen ist, die Symbolik dieser Aktion begreift.

„Wenn alle Worte gesagt sind, brauchen wir eine neue Sprache“ verkündet Neukirchner mit einem schelmischen versöhnlichen Lächeln am Ende des Abends und sogar eine Zugabe ist noch drin.

Beim Bierflaschenblues „Das Trommeln der Rohrdommeln“ blasen alle Zuhörer gemeinsam auf der Bierflasche und finden es „unheimlich“ lustig im Sinne des Wortes. Und wie könnte es anders sein, was humorvoll daherkommt, hat einen ernsten Hintergrund „kein Schnaps hilft gegen das Elend der Welt, auch wenn du dich dagegen stemmst, auch wenn du tausend Liter trinkst, und dich betäubst und mutig machst...“

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