
Als sich die alte Frau tief gebeugt durch das Schneetreiben schleppt, wird es ganz still im Festsaal. Das Geflüster und das Rascheln mit den Programmen verstummen. Die Preisverleihung ist beinahe zu Ende, vielleicht war man im Kopf schon beim anstehenden Sektempfang mit Lachshäppchen oder bei der schwülen Hitze draußen in der Münchner Innenstadt.
Und jetzt erzählt da Sofia Wojtsychiwska, 82, auf der Großbildleinwand davon, wie sie im Mantel schläft, um nachts nicht zu erfrieren, wie sie wieder und wieder den schweren Wagen mit den alten Pappkartons durch die vereisten Straßen im ukrainischen Lviv zieht, um sich umgerechnet einen Euro am Tag dazu zu verdienen.
Seit über zwanzig Jahren reist der in Bamberg wohnende Journalist Till Mayer, Redakteur dieser Zeitung, in seiner Freizeit in die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt, um Geschichten wie die von Sofia Wojtsychiwska zu erzählen. Geschichten, die die Leute zum Stillwerden und Nachdenken bringen.
Am Freitag wurde Till Mayer in München für sein journalistisches Engagement mit dem Dr.-Georg-Schreiber-Ehrenpreis ausgezeichnet. Seit 2003 vergibt die AOK Bayern diesen für herausragende journalistische Arbeiten aus dem Bereich Gesundheit und Soziales. Benannt ist der Preis nach dem Arzt und Medizinjournalisten Dr. Georg Schreiber (1921-1996).
„Ein gewaltiges Werk“, sei es, das da geehrt werden solle, sagt Jury-Mitglied Uli Brenner gleich zu Beginn seiner Laudatio. Brenner, der als ehemaliger Leiter der Deutschen Journalistenschule jahrelang junge Journalisten ausgebildet hat, habe immer an das „Objektivitäts-Dogma“ seines Berufes geglaubt, sagt er. Dass man nicht gleichzeitig Journalist sein und sich für eine Sache engagieren könne, dass man als guter Journalist distanziert zu berichten habe, ohne sich einzumischen. „Und dann trat ein gewisser Till Mayer in mein Leben.“ Zunächst nur in einer Diskussion unter Bamberger Journalistik-Studenten, die über „diesen Mayer redeten, der offenbar mehr war als ein klassischer Journalist.“
Während Brenner erzählt, sind auf der Leinwand hinter ihm Fotografien Mayers in schwarz-weiß zu sehen: ein Kind in Äthiopien, gezeichnet von Hunger. Ein Tänzer ohne Arme, lachend in Bewegung. Ein junger Mann mit Maschinengewehr und Angst in den Augen. Breit grinsende Kinder in einer verstaubten Straße. Kriegsversehrte, vom Krieg gezeichnete Gesichter. Aber auch: Gesichter, die trotz allem Kraft und Hoffnung ausstrahlen. Bei jedem neuen Bild rauscht ein leises Flüstern durch die Zuhörerreihen.
Diese Bilder emotionslos und unbeteiligt zu betrachten, fällt selbst hier, an einem sommerlichen Vormittag im Funkhaus des Bayerischen Rundfunks, schwer. Wie, fragt man sich unwillkürlich, soll man da neutraler Berichterstatter bleiben, wenn man mit all diesen Menschen an all diesen Orten gesprochen hat?
Uli Brenner hat nachgeforscht über „diesen Till Mayer“, hat die berührenden Geschichten und ausdrucksstarken Bilder abseits des Medien-Mainstreams gelesen und gesehen, die er von seinen Reisen mitbringt. Und das aktuellste Projekt „Barriere: Zonen“, das Menschen mit Behinderung weltweit porträtiert, die unter den Folgen des Krieges zu leiden haben. Brenner hat herausgefunden, dass Mayer es nicht beim Schreiben, Fotografieren und Filmen belässt: Die zahlreichen Hilfsprojekte, die aus seiner Arbeit hervorgegangen seien, hätten ihn tief beeindruckt, sagt der Laudator. Allen voran die Leseraktion „Helfen macht Spaß“ des Obermain-Tagblatts, bei der sich Freiwillige aus der Region bei Konzerten, Spendenaufrufen und Verkaufsaktionen für die gute Sache engagieren.
Unzähligen Menschen geholfen
„Till Mayer hat mit seinen Reportagen und Bildern unzähligen Menschen aus großer Not geholfen“, begründet Brenner zum Ende seiner Laudatio die Entscheidung der Jury. „Er hat so viel Gutes bewirkt gegen das Leid dieser Welt, dass ich ihm zurufen möchte: Lassen Sie das mit der Distanz. Dieser Mayer gehört bei allen Projekten mit Leib und Seele dazu.“
Und Mayer selbst? Nach so viel Lob wirkt der bei seiner Dankesrede beinahe ein wenig verlegen. Er bedankt sich bei seinen Kollegen und Unterstützern und erinnert an die Lokaljournalisten vor Ort in Kriegs- und Krisengebieten, die in ihrer alltäglichen Arbeit immer wieder ihr Leben aufs Spiel setzen, „anders als ich.“ Und dann sagt er noch: „Ich bin dankbar dafür, wie viel Glück ich habe. Das ist nicht selbstverständlich.“ Das Preisgeld ist übrigens auch schon verplant: 4500 Euro fließen in die Hilfsaktionen, der Rest, 500 Euro, soll das nächste journalistische Projekt finanzieren. Keine Frage: Till Mayer wird sich auch in Zukunft weiter einmischen.
Barriere: Zonen
Zum aktuellen Projekt: „Barriere:Zonen“ sammelt Text- und Bild-Porträts von Menschen mit Behinderung aus aller Welt, die Tag für Tag mit den Folgen von Krieg und Vertreibung zu kämpfen haben. Erschienen sind sie sowohl als Buch (erhältlich für zehn Euro im Buchhandel oder unter www.erich-weiss-verlag.de) als auch als Wanderausstellung, die kostenlos ausgeliehen werden kann. Weitere Infos dazu unter: www.barriere-zonen.org. Alle Fotos und Texte entstanden bei Recherchereisen Till Mayers. Ermöglicht wurde das Projekt der Hilfsorganisation „Handicap International“ durch die Unterstützung des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit, das Auswärtige Amt und die Ludwig Delp-Stiftung.
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