
Das Wohnzimmer von Diana und Christian Schilder ist ein heller Raum. Große Fenster geben den Blick auf den Garten frei. Alles ist modern eingerichtet, trotzdem gemütlich. Vom Wohnzimmer geht es fließend in die Küche über. Das Ehepaar mag gerade Linien, hier und da ein freundliches Grün als Farbton und warme Holztöne. Ein schönes Nest hat sich die Familie eingerichtet. Eines, in dem sich selbst ein Lockdown gut aushalten lässt.
Doch Corona schlich sich nicht in das Alltagsleben wie bei Nachbarn und Bekannten. Es brauste wie ein Sturm durch die Familie. Es gab Momente, da fiel es Christian Schilder schwer, es in seinem Haus auszuhalten. Im Wohnzimmer sitzen zu müssen, zum Nichtstun verdammt. Während sein Vater im nahen Lichtenfelser Klinikum um sein Leben kämpft.
Christian Schilder hat ein freundliches und offenes Gesicht. Wenn er von seinem Vater erzählt, macht er das mit einem Lächeln. Dann berichtet er, wie der 72-Jährige im eigenen Garten bei der Arbeit selbst aufblüht. Mit seinem Rad-Anhänger voller Grüngut zum Wertstoffhof radelt. Wie er am Dorfleben teilnimmt, sich als Feldgeschworener engagiert oder mit anderen im Wirtshaus bei einem kühlen Bier sitzt. Er ist einer, der gerne hilft, wenn ein Nachbar oder die Familie jemanden zum Anpacken braucht. Kurz, der 72-Jährige steht mitten im Leben. „Mein Vater ist schon ein Mann, den die Leute kennen und schätzen“, sagt Sohn Christian nicht ohne Stolz.
Den Virus von Anfang an ernst genommen
Dann kam die Pandemie. Die Familie muss sich wenig vorwerfen. Sie nahm den Virus von Anfang an ernst.
„Mein Bruder übernahm mit seiner Familie die Einkäufe für die Eltern. ,Geht nicht unter Menschen‘, haben wir ihnen gesagt“, berichtet der 42-Jährige. Dann infiziert sich der Vater trotzdem. „Wir wissen nicht, wie es passieren konnte“, erklärt der Sohn. Fakt ist, am 29. März beginnt für die Familie Schilder ein regelrechtes Drama. Der Bruder von Christian Schilder fährt den Vater ins Klinikum. Der 72-Jährige klagt über Bauchschmerzen. An Covid-19 denkt keiner so recht. Auch im Krankenhaus vermuten die Ärzte zuerst eine Blinddarmentzündung.
Der Test zeigt etwas anderes. Über fünf Wochen lang wird Walter Schilder im Koma liegen. Das Virus greift die Organe an. „Jeden Tag fürchteten wir um sein Leben. Mal ging es wieder aufwärts, dann sah es aus, als gebe es keine Rettung mehr“, erinnert sich Christian Schilder.
Christian Schilder,
42 Jahre
Er selber ist zu diesem Zeitpunkt Mitglied der Führungsgruppe Katastrophenschutz im Landratsamt. Der 42-Jährige kämpft sich mit E-Mails und Telefonaten quer durch die Republik, um Schutzmasken für Gesundheitspersonal und Helfer aufzutreiben. „Natürlich hatte ich befürchtet, selbst infiziert zu sein, meine Familie angesteckt zu haben. Und die Mitglieder der Führungsgruppe dazu“, erklärt er. Bis zu dem Testergebnis geht er in Quarantäne. Keiner der Familie ist infiziert. Außer der Ehefrau von Walter Schilder. Doch bei ihr macht sich der Virus nur durch ein Kratzen im Hals bemerkbar. Aber sechs Wochen lang wird die 67-Jährige immer wieder positiv getestet. Sie muss in völliger Quarantäne bleiben. Alleine im Haus, während der Mann keine 15 Kilometer entfernt mit dem Tod ringt. „Die Nachbarn haben sie oft angerufen, das hat ihr gut getan. Aber es hat weh getan, sie nicht besuchen zu können. Meine Eltern wohnen ja gleich ums Eck“, erklärt Christian Schilder.
„Es war für uns alle ein unglaublicher Albtraum. Wir konnten unseren Vater nicht einmal im Krankenhaus besuchen. Da ist man völlig hilflos, kann nur warten“, sagt der 42-Jährige. Es war ein unerträgliches Warten. Jedes Mal wenn das Telefon klingelte, war die Furcht da, das Krankenhaus teilt die schlimme Nachricht mit.
Eine unfassbar schwere Last fällt von der Brust
Der Anruf kommt nicht. Dafür einer, der Christian Schilder eine unfassbar schwere Last von der Brust nimmt: „Am 15. Mai, da wurden wir informiert, dass unser Vater wieder aus dem Koma aufgewacht ist.“ Und am 19. Mai hört der 42-Jährige seinen Vater erstmals wieder sprechen. „Was war das für ein Geschenk. Mein Vater konnte sich an gar nichts erinnern, was kurz vor und im Koma geschehen war. Er hat mir dann noch gesagt, dass er bald Rasen mähen muss“, da muss der Sohn beim Erzählen lächeln.

Mittlerweile sind zehn Wochen vergangen, seit ein Virus Walter Schilder ins Koma brachte. Bis heute konnte Christian Schilder seinen Vater nicht sehen. Der 72-Jährige ist mittlerweile auf Intensiv-Rehabilitation in einer Spezialeinrichtung in Kreischa bei Dresden. Natürlich sind sie mit der Familie schon hingefahren. Aber nur eine Person darf den Vater eine Stunde lang besuchen. Die Regeln zu Zeiten einer Pandemie sind hart. „Da ging natürlich meine Mutter vor“, erklärt der 42-Jährige. Aber beim Interview erzählt Christian Schilder gleich mehrmals, dass es jetzt nur noch um den Muskelaufbau seines Vaters geht. Manchmal, da kann er selbst noch nicht so ganz glauben, dass der Albtraum ein Ende gefunden hat.
Langsam kommt die Normalität zurück. Diana Schilder arbeitet wieder als Friseurin. „Natürlich immer mit Maske“, erklärt sie. Das zu sagen, ist ihr sehr wichtig. Für die Katastrophenschützer scheint das Gröbste auch überstanden. Das freut Christian Schilder, der als ehrenamtlicher Feuerwehrmann in den Stab des Landratsamts kam. Von Beruf ist der 42-Jährige Werkzeugmacher.
Eine zweite Welle darf es nicht geben
Aber für sicher hält er nichts. Sieht er die Sommer-Partys in Berlin oder die Demos der Querfront aus Impfgegnern, AfD-lern, Reichsbürgern und Esoterikern, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, schüttelt er den Kopf. „Das ist dumm und verantwortungslos. Covid-19 ist ein gefährlicher Virus. Zum Glück haben wir schnell reagiert. Deswegen gab es bei uns keine Bilder wie in New York, Brasilien oder Italien. Die Menschen, die nicht betroffen waren, sollten sich freuen, anstatt Verschwörungstheorien zu glauben. Wir haben viel Glück gehabt“, sagt Christian Schilder. Er erinnert daran, dass in anderen Ländern die Maßnahmen viel weiter gingen. Es dort oft keine umfangreichen staatlichen Hilfsprogramme gibt, kein funktionierendes Gesundheitssystem. „Die Menschen dort trifft es viel, viel härter als uns“, fügt er hinzu.
„Natürlich bin ich gegen Rassismus. Aber, wenn unbedingt jetzt demonstriert werden muss: dann bitte mit Abstand und Maske“, meint der Familienvater zu den weltweiten Anti-Rassismus-Demos, die gerade am Laufen sind.
Jetzt kommt es auf jeden von uns an
Er hält eine zweite Welle durchaus für möglich. „Wir müssen sie verhindern. Es kommt auf uns alle an, dass es nicht dazu kommt. Ein Menschenleben ist unbezahlbar, das dürfen wir nicht vergessen“, sagt er. Christian Schilder will nicht, dass es noch mehr Menschen so ergeht wie ihm und seiner Familie: Dass ein gemütliches Wohnzimmer zu einem Ort der Verzweiflung und Hilflosigkeit wird. In einer Pandemie kann das schnell passieren, das wissen die Schilders nur zu gut.
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