EBENSFELD

Ebensfelderin von Sorge um den Enkel überrumpelt

Ebensfelderin von Sorge um den Enkel überrumpelt
Sigrid Bukowski aus Ebensfeld hat bei einem Schockanruf von Betrügern rechtzeitig Verdacht geschöpft. Mit ihren Erfahrungen möchte sie andere warnen. Foto: Gerhard Herrmann

Diesen Anruf wird Sigrid Bukowski wohl nie vergessen. Sie hatte gerade Pfifferlinge geputzt und wollte sie kochen, als das Telefon klingelte. Zuerst war sie irritiert, dass keine Telefonnummer auf dem Display angezeigt wurde. Doch als eine Frauenstimme weinerlich sagte „Ich habe einen Unfall gebaut. Bitte hilf mir“, war das Misstrauen vergessen. Fast wäre die Ebensfelderin auf den Anruf hereingefallen. Erst als die Anruferin Geld forderte, wurde ihr klar, dass Betrüger versuchten, sie hereinzulegen. Die Masche mit Schockanrufen, bei denen Betrüger sich als Enkel ausgeben, um arglosen Senioren Geld abzupressen, boomt (Infokasten). Als sie von einem weiteren Fall in Döringstadt liest, bei dem eine Rentnerin um 10.000 Euro betrogen worden war, entschließt sich Sigrid Bukowski, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Was Sigrid Bukowski möglichen Opfern rät

„Ich möchte andere warnen, damit sie vorsichtig sind und nicht auf die Tricks der Betrüger hereinfallen“, betont die 82-jährige Ebensfelderin. „Seien Sie misstrauisch, wenn am Telefon jemand Geld von ihnen fordert, und machen Sie einen Kontrollanruf“, rät sie in solchen Fällen. Verdächtig sei es auch, wenn die Forderungen reduziert werden, wie im Döringstadter Fall, wo anfangs 65.000 Euro gefordert worden waren. Auch unbekannte oder unterdrückte Telefonnummern sollten bei den Angerufenen die Alarmglocken schrillen lassen. Und sinnvoll sei es, den Enkel oder die Person, die den Betrügern als Vorwand dient, auf dem Handy anzurufen, um sich zu vergewissern, ob es um ihn geht.

„Am meisten ärgere ich mich, dass ich nicht misstrauischer war und vergessen hatte, dass es eine anonyme Telefonnummer war“, betont Sigrid Bukowski. Eigentlich habe sie als Witwe eines Apothekers genug Lebenserfahrung, um ein derartiges Vorgehen zu erkennen. Doch der Schock habe sie erst mal überwältigt.

Eine angebliche Polizistin behauptet, ihr Enkel habe jemanden totgefahren

Die Stimme der Anruferin erkannte sie nicht, allerdings erinnerte sie sie an die einer Freundin. Also fragte sie: „Lotte, bist du das?“ Doch statt einer Antwort meldete sich eine andere Frau, die sagte, sie sei von der Polizei und fragte, ob die Anruferin ihre Tochter gewesen sei. „Ich habe keine Tochter, nur eine Schwiegertochter“, antwortete Sigrid Bukowski. „Nicht aufregen, es ist beiden nichts passiert“, sagte die angebliche Polizistin. Und fügte hinzu: „Aber ihr Enkel hat jemanden totgefahren.“

„Da hat vor lautet Schock mein Verstand ausgesetzt und ich habe sogar seinen Namen genannt“, berichtet die 82-Jährige. Der Enkel müsse in Untersuchungshaft – ein halbes Jahr lang, behauptete die angebliche Polizistin. Da er sich bisher nichts habe zuschulden kommen lassen, gebe es jedoch die Möglichkeit, ihn gegen eine Kaution auf freien Fuß zu setzen. Die belaufe sich auf 60.000 bis 90.000 Euro, je nachdem, welcher Staatsanwalt sie festsetze.

Als sie die Geldforderung hörte, wurde Sigrid Bukowski klar, dass sie mit einer Betrügerin sprach. „Die deutsche Polizei würde bei einem Verkehrsunfall niemanden sofort verhaften und das Kautionswesen gibt's nur in den USA“, betont sie. Deshalb überlegte sie fieberhaft, was sie tun sollte. Soviel Geld besitze sie nicht, die Anruferin solle sich an die Schwiegertochter wenden, sagte sie. Das sei nicht möglich, konterte die angebliche Polizistin. Und sie müsse die Summe noch am selben Tag bezahlen, wenn sie die Haft für den Enkel abwenden wolle. „Sie können auch Schmuck oder Goldbarren als Pfand übergeben“, sagte die Unbekannte. Da war sich die Rentnerin sicher, dass alles Lüge war. Sie forderte, mit ihrem Enkel zu sprechen. Daraufhin schluchzte eine Person ins Telefon, deren Stimme sie nicht kannte. „Ich glaube Ihnen nicht“, sagte sie der Anruferin. „Dann kommt er halt in den Knast“, rief die wutentbrannt und legte auf.

Ein Stein fiel Sigrid Bukowski vom Herzen, als sie daraufhin ihren Enkel per Handy anrief und dessen Stimme hörte. Der nächste Anruf galt der Polizei. Dort erfuhr sie, dass sie bereits die elfte Anruferin an diesem Tag war.

„Zuerst erschrecken sie einen mit einer Schocknachricht, dann beruhigen sie einen, dann drohen sie wieder.“
Sigrid Bukowski, Ebensfeld

„Die Betrüger setzen auf Überrumpelungstaktik“, warnt Sigrid Bukowski. Sie kenne ihren Enkel, der Medizin studiert, als umsichtigen, korrekten Menschen und vorsichtigen Autofahrer. „Ich weiß, dass er niemals einen Menschen totfahren würden, aber im Schock war ich mir dessen nicht mehr so sicher“, erklärt sie. Außerdem ziele die Taktik der Betrüger darauf, ihre Opfer nicht zum Nachdenken kommen zu lassen. „Zuerst erschrecken sie einen mit einer Schocknachricht, dann beruhigen sie einen, dann drohen sie wieder.“ So gerate das Opfer in ein Wechselbad der Gefühle. Dazu gehöre auch die ständige Aufforderung, am Telefon zu bleiben und niemandem etwas von dem Vorfall zu erzählen.

Täglich Schockanrufe: Klappaufsteller als Warnung

Täglich gehen bei der Polizeiinspektion Lichtenfels Anzeigen wegen Schockanrufen ein. „In der Regel sind es zwei bis fünf, gottseidank meist ohne eine Schädigung der Betroffenen“, teilt stellvertretender Inspektionsleiter Jürgen Hagel auf Anfrage mit. „Es ist erschreckend, dass trotz der vielen Warnungen immer wieder Menschen auf solche Anrufe hereinfallen.“ Daher rät die Polizei mit einer Kampagne zu besonderer Vorsicht. Beim leisesten Zweifel sollten die Betroffenen den Anruf unterbrechen, bei dem als Vorwand vorgeschobenen Angehörigen oder der Polizei nachfragen. Und sich auf keinen Fall auf die Geldforderungen einlassen.

2021 verzeichnete die oberfränkische Polizei 1.288 angezeigte Fälle (das sind 164 mehr als im Vorjahr) von Trickbetrügereien. Glücklicherweise wurden hiervon nur 73 vollendet. Im Jahr 2020 waren es noch 96 Fälle mit Vermögensschaden bei den meist überrumpelten älteren Menschen. Nur zu erahnen sei aber das Dunkelfeld, so die Polizei. Tagtäglich greifen die Betrüger zum Hörer oder dem Smartphone und versuchen ihre dreisten und fingierten Geschichten ihren Opfern schmackhaft zu machen – per Anruf, als WhatsApp-Nachricht oder gar persönlich an der Haustür.

Einzelne Betrugsmaschen wie Schockanrufe häuften sich. Zuletzt war es im gesamten Regierungsbezirk beinahe täglich zu einer Vielzahl an Anrufversuchen sowie in Einzelfällen auch zu Geldübergaben gekommen.

Im Vergleich zu 2020 stiegen die angezeigten Fälle von Schockanrufen im Jahr 2021 von 41 auf 693. Zwar bleiben die meisten Taten im erfolglosen Versuchsstadium stecken, dennoch gelingt es den Tätern in Einzelfällen, hohe Geldsummen zu ergaunern.

Zur Bekämpfung dieser Betrugsmasche setzt die Polizei Oberfranken auf Prävention: So wurden Banken für die Herausgabe größerer Geldbeträge mit Briefkuverts ausgestattet, die auf die Vorgehensweise der Betrüger hinweisen.

Außerdem sollen ältere Menschen als bevorzugte Zielgruppe der Betrüger mittels Klappaufsteller samt Infobroschüre im richtigen - und meist letztmöglichen - Moment sensibilisiert werden. „Unsere Erfahrung zeigt, dass es den Tätern durch geschickte Gesprächsführung gelingt, ihr Gegenüber in eine psychische Ausnahmesituation zu versetzen. Unser Ansatz ist es deshalb, den resultierenden Tunnelblick der Geschädigten durch die Aufsteller, die neben dem eigenen Telefon platziert werden können, im richtigen Moment wieder zu weiten“, sagt Kriminaldirektor Jürgen Schlee von der Kriminalpolizeiinspektion Hof. Die Aufsteller und Infobroschüren liegen deshalb ab sofort in allen oberfränkischen Polizeidienststellen aus und zur kostenlosen Abholung bereit.

Schlagworte