KUTZENBERG

Dr. Nedal Al-Khatib, Chefarzt in Kutzenberg, über Narzissten

Dr. Nedal Al-Khatib, Chefarzt in Kutzenberg, über Narzissten
Wie man Narzissten erkennt, erklärt Dr. Nedal Al-Khatib ist Psychiater und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirksklinikum Obermain. Foto: Dietmar Hagel

Jahrelang war es der Burnout, dessen Krankheitsbild Gesellschaft und mediale Berichterstattung in Atem hielt. In den vergangenen Jahren hat sich das Interesse der Öffentlichkeit jedoch zunehmend auf ein anderes Phänomen eingeschossen: Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Dr. Nedal Al-Khatib ist Psychiater und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirksklinikum Obermain. Er weiß, wie Narzissten ticken.

Es sind nicht wenige. Man kann auf sie in allen erdenklichen Lebenssituationen treffen. Als Führungskraft haben sie nicht selten eine toxische Wirkung auf ihre Teams und die gesamte Unternehmenskultur: Narzissten, also Menschen, die sich für großartig halten, bewundert werden möchten und deren „soziales Einfühlungsvermögen“ nur eigenen Zwecken, aber nicht dem eigentlichen sozialen Miteinander dient.

Grandioser Narzissmus

Abgeleitet davon spricht man im Fachjargon von so genanntem grandiosem, also sich selbst für großartig haltendem Narzissmus. Es sind Menschen, die in jeder Situation überlegen wirken wollen und sich dabei maßlos überschätzen, die Empathie durch Egozentrik ersetzen. Dabei ist sich die Wissenschaft einig, dass diese Ausprägung des Narzissmus häufiger bei Männern als bei Frauen vorkommt.

Nicht jeder selbstgefällige Mensch ist auch ein Mensch mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Ein gesundes Maß an Selbstbezogenheit ist sogar der seelischen Gesundheit förderlich. Erst dann, wenn eine krankhafte und sozial rücksichtslose Egomanie eine gesunde Selbstliebe ersetzt, spricht man von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

„Narzissten mit ihrem Drang zur übertriebenen Geltungssucht sorgen in Paar-Beziehungen, aber auch in der hierarchisch strukturierten Arbeitswelt für viel Leid. Sie lassen sich jedoch identifizieren“, erklärt Psychiater Dr. Nedal Al-Khatib.

Wie identifiziert man sie?

Hält sich dieser Mensch für so großartig und bedeutend, dass er fast ständig alle anderen überstrahlen will und in rechthaberisch-übergriffiger Weise seinen Mitmenschen kaum Luft zum Atmen lässt? Oder will er permanent eine Vorzugsbehandlung und bewundert werden? Gibt er vielleicht sogar fremde Erfolge als eigene aus und verbreitet er Unwahrheiten über Menschen, die ihn kritisieren?

Al-Khatib: „Menschen, die diese Form der narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben, fehlt es fast immer an echter Empathie. Sie sind nicht in ehrlicher Weise und auf Augenhöhe an den Bedürfnissen ihrer Mitmenschen interessiert. Sie wollen Informationen über Menschen sammeln, um daraus einen Profit für ihre eigenen Interessen, ihre eigenen Zwecke und ihr eigenes Image herauszuholen.“

Gut getarnt

Zudem ertrügen Narzissten kaum Kritik. Sie seien schnell gekränkt und hegten sogar Rachegedanken. Denn sie wollten immerzu dominant und im Recht sein, im Mittelpunkt stehen und werteten daher gerne andere Menschen ab. Menschen mit anderer Meinung würden kaum toleriert.

Und Narzissten seien oft in der Lage, sich zu tarnen. Sie verkaufen sich auf den ersten Blick als humorvoll, umgänglich, vielleicht auch charmant und tarnten so ihre wahren Absichten. „Schaut man allerdings hinter die Maske und gleicht Worte mit Taten ab, so erkennt man recht schnell, welches Krankheitsbild vorliegt“, erläutert der Chefarzt.

Studien belegten, dass Narzissmus gerade unter Führungskräften deutlich häufiger als in der Gesamtbevölkerung zu finden ist. Narzissten verkauften sich den Personalentscheidern als innovativ und dynamisch, als handlungssicher und durchsetzungsstark. Eigenschaften, die ganz oben im Ranking stehen, wenn es um Personalauswahlkriterien bei Führungskräften in einem auf Wettbewerb aufbauenden Wirtschaftssystem geht.

„In der Realität wird leider viel zu lange zugeschaut oder aktiv weggeschaut. Beides ist in gleicher Weise fatal.“
Dr. Nedal Al-Khatib, Chefarzt im Bezirksklinikum Obermain
Dr. Nedal Al-Khatib, Chefarzt in Kutzenberg, über Narzissten
Überaus beliebt sind gerade zu Ostern Narzissengewächse wie Osterglocken. Übertrieben selbstverliebt und dazu noch selbs... Foto: Dietmar Hagel

Nicht wenige Unternehmen würden ihre Blender jedoch nicht oder zu spät erkennen. Dabei würden grandiose Narzissten mittelfristig ein ungesundes Arbeitsklima schaffen und der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter schaden. „Jede Geschäftsleitung muss hellhörig werden und Gegenstrategien entwickeln, wenn in einem überschaubaren Zeitraum immer wieder Teammitglieder gehen oder gegangen werden. Hier geht es um Fürsorge, aber auch darum, unbelehrbare Narzissten letztendlich von ihren Führungsaufgaben zu entpflichten, wenn Schulungsmaßnahmen oder psychologische Unterstützung nicht fruchten“, fordert Al-Khatib. „In der Realität wird leider viel zu lange zugeschaut oder aktiv weggeschaut. Beides ist in gleicher Weise fatal.“

Der Namensgeber Narcissus

Ein Narzisst sehe in der Regel sein Verhalten als unproblematisch. Daher sei es wichtig, ihn über seine Krankheit aufzuklären und somit ein Bewusstsein zu schaffen. Psychotherapeutische Verfahren, die dem Therapeuten viel Fingerspitzengefühl abverlangen, kämen in unterschiedlichen Varianten bei der Behandlung dieser Störung zum Einsatz, wobei Patient und Therapeut eine Ebene auf Augenhöhe finden müssten, was dem Narzissten naturgemäß zuerst schwerfalle.

Ob sich die nur wenige Wochen blühende Osterglocke, ein Narzissengewächs, über die Sprachverwandtschaft freut? Die Reaktion der Menschen auf einen Narzissten ist sicherlich weniger freudig, hat man es doch mit seinen Verhaltensauffälligkeiten das ganze Jahr über zu tun. Narcissus, eine Gestalt aus der antiken Mythologie und bekannt dafür, in sein eigenes Spiegelbild verliebt zu sein, hat sicherlich nicht geahnt, wofür seine Geschichte einmal herhalten muss.

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