
Vormittags besuchen die Mädchen und Jungen ab elf Jahren die Brückenklasse der Adam-Riese-Mittelschule Bad Staffelstein, am Nachmittag oder am Wochenende lernen sie für den gesamtukrainischen Online-Unterricht. Diese Doppelbelastung und die noch gewachsene Unsicherheit prägen die Kinder. Dennoch gibt es Erfolge: Derzeit wechseln die ersten ukrainischen Schüler in die Regelklassen der Mittelschule und auch die Integration trägt Früchte.
Vier Schülerinnen und Schüler machen den Anfang. Das motiviert die restliche Klasse, aber auch die Lehrkräfte und die Schulleitung. Auf Grund ihres großen Lernfortschritts wechseln einzelne ukrainische Mädchen und Jungen in die Regelklassen der Adam-Riese-Mittelschule Bad Staffelstein. Viele von ihnen sind bereits seit März vergangenen Jahres Teil der Schulgemeinschaft.
Schwerpunkt auf der Deutschförderung
Ab September hatten sie die besondere „Brückenklasse“ besucht, deren Schwerpunkt auf der Deutschförderung liegt. Aber auch Mathematik, Englisch und Fachunterricht stehen auf dem Stundenplan. Dieser lässt die Schüler etwa auch zwischen „Technik“ oder „Ernährung und Soziales“, je nach persönlicher Neigung, wählen. Die derzeit 13 Schülerinnen und Schüler sind „in der Schule angekommen“, beobachtet Mariana Shegda.
Sie leitet die Brückenklasse mit Kindern zwischen 11 und 17 Jahren, somit Fünft- bis Neuntklässlern. Ihr Zusammenhalt im für sie zunächst fremden Land ist groß. Auch die jüngeren Kinder, die die Regeklassen der Adam-Riese-Grundschule besuchen, sind Teil dieser Gemeinschaft. „Ich sehe sie oft miteinander reden und sich gegenseitig helfen“, so die Lehrkraft.
Integration durch Sport und Aktionen
Doch auch die Integration verlaufe gut. Dazu tragen etwa die gemeinsamen Sportstunden bei. „Viele kennen sich vom Pausenhof oder der Klasse, die manche im letzten Schuljahr besucht haben“, weiß Rektorin Astrid Balzar. „Im Sportunterricht zählen auch Bewegung, Team- und Kampfgeist bei wenigen Worten, Sport verbindet.“ Nach der ersten Vorsicht und so manchem Missverständnis, wie Mariana Shegda zu berichten weiß, seien aber auch die ukrainischen und die deutschen Schüler ein Stück weit zusammengewachsen. Ein „Wie geht´s dir?“ oder ein „Deine Brille ist ja cool“ zeuge heute von echter Kameradschaft, lächelt die Klassenleitung. Sie ist auch in der Offenen Ganztagsschule der Schule tätig. Dort unterstütze das gemeinsame Lernen oder Projekte die Integration.
Aber auch Weihnachtsfeiern oder Motto-Verkleidungs-Tage während der Faschingszeit stärken das Schulleben und die Gemeinschaft nachhaltig.
Lernen für beide Schulen
Der Krieg in der Ukraine dauert nun bereits über ein Jahr an. Ein Ende ist nicht in Sicht. „Die Sehnsucht nach zu Hause und dem, was sie kennen, spürt man bei den Schülern natürlich“, weiß Mariana Shegda. „Einige wissen schon, dass sie nach Kriegsende zurückkehren wollen, einige sind unsicher, weil sie sich hier wohl fühlen und sich vorstellen können zu bleiben.“ Doch werden sie das dürfen? Und was ist mit den vielen Familienvätern, die sich nach wie vor in der Ukraine befinden?
Unsicherheit prägt alle Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen. Lernen müssen sie trotzdem – und zwar zweigleisig. Vormittags besuchen die Mädchen und Jungen die Brückenklasse, am Nachmittag oder am Wochenende lernen sie für den gesamtukrainischen Online-Unterricht. Denn nehmen sie diesen nicht wahr, erhalten Sie keinen ukrainischen Schulabschluss, stünden also „mit nichts“ dar.
Gleichzeitig leben sie nun in Deutschland und wollen sich hier ebenfalls qualifizieren und an der Gesellschaft teilhaben. Diese Doppelbelastung, in beiden Lernwelten Leistung erbringen zu sollen, sei unglaublich hart und bedinge oft sehr viel Konzentration, so auch Konrektorin Cordula Firnstein-Damm. „Auch, wenn es eine Chance sein kann, die Deutschkenntnisse später einmal beruflich zu nutzen“, fügt Astrid Balzar hinzu.
Klassenleitung mit Erfahrung und eigener Fluchtgeschichte
Dass diese Mehrsprachigkeit Türen öffnen kann, weiß sie nämlich spätestens seit dem Zeitpunkt, als sie in Mariana Shegda eine qualifizierte Person gefunden hat. Diese ist im Alter von sieben Jahren nach Deutschland gekommen, spricht heute beide Sprachen fließend und ist mittlerweile Hauswirtschaftliche Betriebsleitung mit Ausbildereignungsschein. Seit zehn Jahren unterrichtet sie Kinder und Erwachsene in der Region. Ihre Sprachkenntnisse, aber auch die kulturelle Nähe machen sie zu einer ganz besonderen Ansprechpartnerin für die Schüler.
Sie kommen mit ihren Sorgen, gerade auch nach neuen Kriegsnachrichten oder aus dem Alltag, oft zu ihr. Mariana Shegda weiß, wie viele Kinder sich fühlen: Ihre eigenen Eltern befinden sich ebenfalls auf der Flucht aus der Ukraine. So spielt sie auch für die Eltern der Schüler eine wichtige Rolle: Sie bietet ihre Hilfe als Übersetzerin bei Krankmeldungen oder Schulbriefen an, begleitet die Lernentwicklungsgespräche oder vermittelt bei Konflikten in der Klasse. Gemeinsam mit den Lehrkräften Eva Bittmann und Eva Wiemann zieht sie an einem Strang zum Wohle der anvertrauten Schüler auf ihrem Weg zu Wissen und Integration.
Nicht immer besitzen die Lehrkräfte der Brückenklassen eine pädagogische Qualifikation. „Zwar sind wir personell gut aufgestellt, aber wir beschäftigen eben auch in der Brückenklasse geeignete Vertragslehrkräfte aus anderen Berufszweigen“, erklärt Konrektorin Cordula Firnstein-Damm auf das Stichwort des Lehrermangels in Deutschland hin. „Wir schaffen es aber gemeinsam, alle Schüler bestmöglich auf ihrem Weg zu begleiten.“
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