
„Warum Korea?“ ist eine der häufigsten Fragen, die mir gestellt werden. Alles hat durch die Erzählungen meiner Eltern begonnen, die Anfang der 1980-er Jahre für knapp zwei Jahre in einem kleinen Ort im Süden der koreanischen Halbinsel lebten und arbeiteten. Mein Vater war als Ingenieur für einen deutschen Konzern in der Inbetriebnahme tätig. Meine Mutter begleitete ihn. Sie war 21 Jahre alt und zuvor erst einmal in ihrem Leben geflogen. Nur vier Tage nach ihrer Hochzeit brachen meine Eltern – beide gebürtige Staffelsteiner – im April 1984 zu ihrer „zweijährigen Hochzeitsreise“ auf, wie meine Mutter ihr Abenteuer bis heute nennt.

In den 1970-er und 1980-er Jahren erlebte Südkorea das „Wunder vom Han“, ein rasantes Wirtschaftswachstum, welches die Nation von einem der ärmsten Länder in die Top 20 der stärksten Volkswirtschaften der Welt katapultierte.
Motor des südkoreanischen Wirtschaftswunders war vor allem die Schwerindustrie mit mächtigen Industriekonglomeraten wie Hyundai oder Daewoo. Diese betrieben große Schiffswerften, und auf einer dieser arbeitete mein Vater.
Als Kind liebte ich es, in den alten Fotoalben meiner Eltern zu stöbern und ihren Geschichten über ein fernes, fremdes Land zu lauschen. Einem Land, wo meiner Mutter bei ihrer Ankunft ein abgeschlagener Schweinekopf im Hafenbecken entgegenschwamm. Einem Land, wo regelmäßig Verdunkelungsübungen zur Vorbereitung auf einen möglichen Angriff Nordkoreas abgehalten wurden.

Ein Land, wo die Landbevölkerung noch nie Ausländer gesehen hatte
Einem Land, wo nackte Kinder am Strand neben einem Abflussrohr in der Kloake spielten. Einem Land, wo die Luftfeuchtigkeit so hoch war, dass zur Regenzeit die Schuhe im Schrank schimmelten. Einem Land, wo vor allem die Landbevölkerung noch nie Ausländer „in echt“ gesehen hatte. Einem Land, wo die Menschen im Sommer entlang der Flussläufe picknickten und singend, tanzend und trinkend ihren Lebensfrohsinn kundtaten. Wer würde da nicht neugierig werden?
Erste gemeinsame Reise vor elf Jahren
2009 unternahmen meine Eltern, meine zwei jüngeren Brüder und ich unsere erste gemeinsame Reise nach Südkorea. Inzwischen hatte sich das Land von einem Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenland in eine hochmoderne Industrienation gewandelt.

Als wir in der Hauptstadt Seoul ankamen, trauten wir unseren Augen kaum. Meine Eltern, weil sie in dem Land, in dem sie vor 25 Jahren kaum Bohnen-Kaffee bekamen, nun an jeder Ecke ein Café vorfanden. Ich, weil Flachbildschirme und Hochhäuser mit Glasfassaden definitiv nicht das waren, was ich nach all den Erzählungen erwartet hatte.

Ein Jahr lang Austauschstudentin in der Hauptstadt Seoul
Von dieser ersten Reise an nahm Korea eine immer wichtigere Rolle in meinem Leben ein. Ich lernte mehr über das Land, und mein koreanischer Freundeskreis wuchs beständig. Zeitgleich entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Schreiben und für Medien. Beides verband ich schließlich in meinem Bachelorstudium mit den Fächern Koreanistik und Medienwissenschaft.
2015 bis 2016 war ich für ein Jahr Austauschstudentin an einer Universität in Seoul. Nach meinem Bachelorabschluss entschied ich mich für ein Doppelmasterstudium, das mich nicht nur nach Korea, sondern auch für ein halbes Jahr nach Japan führte.

Masterarbeiten auf Koreanisch angefertigt
Inzwischen beherrschte ich die koreanische Sprache so gut, dass ich eine meiner beiden Masterarbeiten auf Koreanisch anfertigte. 2019 begann ich, für eine koreanische Firma zu arbeiten, die zuvor noch nie eine westliche Angestellte hatte.

Warum also Korea? Letztendlich weiß ich es selbst nicht genau. Alles begann mit meinen Eltern und ihre Erzählungen, doch entscheidend für mein persönliches Abenteuer in 8000 Kilometer Entfernung war eine tiefe Faszination für das Land Südkorea mit all seinen Facetten.
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