
Die Songs an einem Sommerabend sind die heißesten in der 29-jährigen Geschichte. Dass Tausende von Besuchern am Freitag und am Samstag den Berg zur Klosterwiese emporsteigen, schweißgebadet, mit glühenden Gesichtern bei tropischer Hitze über 38 Grad zeigt: die Anziehungskraft des Liedermacherfestivals in Kloster Banz ist ungebrochen. Die Anstrengung lohnt sich: Sie erleben ein fränkisches Sommermärchen in einer Tropennacht mit einem furiosen Finale.
Als es losgeht um 19 Uhr, liegt das Festivalgelände im Schatten der hohen Bäume, ein Wohlfühlabend beginnt, wie er kaum zu übertreffen ist. Junge Künstler, die überschäumen voller Kreativität und neuer Ideen, Geheimtipps, die hier Scharen von neuen Fans gewinnen, große, bekannte Liedermacher wie Angelo Branduardi und Konstantin Wecker: der künstlerische Leiter der Songs, Ado Schlier, bietet den Zuhörern ein wunderschönes Programm, umrahmt von einer unübertrefflichen Kulisse, als es zu dämmern beginnt und der volle Mond am Himmel emporsteigt.
Aus Österreichs Schatzkiste
„Blas mer‘n Rauch bitte ins Gsichd, dass mer kaane Tränen sichd!“, „Solozuviert“ sind die neuen Helden des Austropop in der Manier von Wolfgang Ambros und Georg Danzer. Vier Männer mit Gitarren stehen auf der Bühne, österreichische Mundart, mehrstimmiger Gesang, hörenswerte Texte. Die Menschen auf der Klosterwiese träumen sich zurück in die spannende Zeit des Erwachsenwerdens bei „Der schönste Sommer“. Das Lied „Irgendwann“ ist ein Gute-Laune-Ohrwurm, locker, zum mitpfeifen und mitsummen. Die ersten „Zugabe“-Rufe werden immer lauter.
Doch Moderator Matthias Brodowy muss das Publikum enttäuschen: Der Zeitplan ist eng gestrickt, immerhin treten 14 Interpreten und Ensembles an diesem Abend mit teils neuen, teils bekannten, aber immer noch brandaktuellen Stücken auf. Schon die Neuen von den Songs, die den Nachwuchsförderpreis 2015 erhalten, begeistern: Falk singt von seiner „Smogsehnsucht“, Le-thanh Ho mit ihrer poetischen Bildsprache im „Elephantenwalzer“, morbide Christoph Theußl mit „Gsund stoabm“ und die A-cappella-Band HörBänd mit „Talente“.
„Carolin No“ nennt sich das Ehepaar Carolin und Andreas Obieglo. Die beiden Vollblutmusiker, die in der Nähe von Würzburg leben, lassen sich in kein Korsett zwängen. Caro Obieglo steht ganz entspannt auf der Bühne und zieht die Menschen in ihren Bann. Sie singt vom „November“, der nie länger als bis zum nächsten Frühlingbeginn dauern wird. Sie singt vom „Bird in a Cage“ in ihrem „Sick of Home Blues“. Die Zuhörer lehnen sich zurück, lassen sich fallen und verzaubern von der Musik unter freiem Himmel.
Wortreich und virtuos
Martin Zingsheim ist der Publikumsliebling unter den Nachwuchspreisträgern 2014. In diesem Jahr steht er mit seinen virtuosen und wortgewaltigen Liedern im Hauptprogramm auf der Bühne. Er schafft es, die 90-er Jahre in fünf Minuten zu komprimieren: „Wenn ich überlege, unter was für Nummer-Eins-Hits ich aufwachsen musste“, fabuliert er, spricht von der fatalistischen Perspektive, die seine Generation erlebte, mit dem Millenium und damit den Weltuntergang vor Augen, „und das in der neunten Klasse“.
Respektvoll das Lied „Ich weiß nicht“, den Menschen gewidmet, die sich um jene kümmern, deren Gedankenkraft im Alter schwächer wird und die immer öfter sagen müssen „Ich weiß nicht“.
Von Banz nach Paris im Walzertakt
Auf der Wiese liegen, die Augen schließen, davon träumen, eine Gasse in Paris entlang zu schlendern, in ein Bistro einzutreten... Der begnadete Geschichtenerzähler Georg Clementi erweckt Musette-Atmosphäre im Walzertakt.
Eine Ahnung von Jaque Brel wird wach: Clementi singt „Wir sind blau wie die Seine“, hervorragend begleitet von Sigrid Gerlach-Waltenberger am Akkordeon und einem virtuosem Tom Reif an der Gitarre.
Eingängig sind die Melodien, geistreich die Texte. Heftig, wie im ergreifenden „Kinderknast von Lesbos“ über ein Auffanglager für jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan. Für zu viele Jugendliche heute Alltag: das Leben von „Anna“, einer jungen Frau aus der I-Phone- und Burn-Out-Generation. Sie hat 300 Freunde, nie Zeit, und in ihrem Kopf rasen die Gedanken „ich muss“.
Der Südtiroler Clementi lebt als Schauspieler und Liedermacher in Salzburg. Als 16-Jähriger war er schon einmal in Banz, bei den ersten Songs als Nachwuchspreisträger. „Ich wusste noch, dass es gut ist, hier auf der Bühne zu stehen, aber dass es so gut ist...“
Seine poetischen Lieder sind inspiriert von Artikeln aus der Wochenzeitung „Die Zeit“. Clementis Stücke sind keine leichte Kost.
Einmal hören ist zu wenig
Die Themen der Künstler bei den Songs an einem Sommerabend sind von großer Bandbreite. Und ganz gleich, ob sie humorvoll verzwickte alltägliche Situationen beschreiben oder verstörende politische Bilder in den Fokus nehmen: Diese Lieder sollte man öfter hören, ein zweites, ein drittes Mal, dabei neue Details entdecken, andere Nuancen spüren.
Matthias Brodowy moderiert kurzweilig, mit Liedern, Witzen, Geschichten. Spricht von der SUV-Armada vor den Grundschulen, weil Eltern ihren Kinder, die zwar mit vier Jahren schon Fremdsprachen lernen müssen, nicht zutrauen, den Schulweg alleine zu meistern. Sein Appell: „Erfindet Lieder mit euren Kindern und bringt ihnen die Musik nahe. Das ist das Schönste, was es gibt.“
Ein rockiger Liedermacher, ein poetischer Rocker: Heinz Rudolf Kunze mit seiner temperamentvollen Band „Räuberzivil“ ist in Hochform. Die strahlende Ballade „Brot aus Gold" erinnert an die Weissagung der Cree-Indianer, dass man Geld nicht essen kann. Uralt und immer noch topaktuell. Im krassen Gegensatz dazu kommt „Ponderosa" lustig daher. Die Percussions klingen bis zur Straße, das Gitarrensolo ist vom Feinsten.
Stille Momente folgen. Angelo Branduardi interpretiert Texte vom heiligen Franz von Assisi, seine Geige jubiliert, der Vollmond steigt hoch über Vierzehnheiligen, erst rot, dann strahlend golden. Die Kulisse ist kaum zu übertreffen. Seine Fans sind glücklich. Sie genießen es, dass der große italienische Liedermacher nach 2013 zum zweiten Mal in Banz ist. Branduardi hat gesehen, auch in der fränkischen Toskana lässt es sich leben und meditieren.
In diesen Stunden fühlen sich alle wohl. Das Publikum ist hingerissen. Entspannt und behaglich genießt es den Ausnahmeabend, auch die ältere Generation liegt auf Iso-Matten. Um 21 Uhr zeigt das Thermometer 28 Grad. Noch um Mitternacht ist Barfußlaufen angenehm.
Ado Schliers Idee der vergangenen Songs hat Konstantin Wecker umgesetzt: Bei seinem achten Auftritt bei den Songs begleitet ihn das Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie, dirigiert von Mark Mast. Es ist gewaltig. Eines seiner schönsten Lieder „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ aus dem Jahr 1976 ist die Hymne an diese Tropennacht. An seine Seite hat er Cynthia Nickschas geholt, die gut gelaunte Rockröhre, Nachwuchskünstlerin 2014.
Energisch hebt Wecker das Stoppschild: „Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen...Sage nein!“ Empört euch, wehrt euch, gegen Monsanto, gegen Unterdrückung, gegen Gewalt. Weckers Appelle haben in den vergangenen Jahren nichts an Aktualität eingebüßt.
Alle stehen auf, klatschen, tanzen, zünden Wunderkerzen auf, Wecker mischt sich singend ins Publikum zum furiosen Finale: „Questa nuova realta - Freunde, rücken wir zusammen, denn es züngeln schon die Flammen und die Dummheit macht sich wieder breit.“ Menschen umarmen sich bei dem unwahrscheinlich schönen Festival, und schließlich stimmen auch in diesem Jahr alle Interpreten und das Publikum gemeinsam „Gute Nacht Freunde“ an.
Am Samstag ist Nervenstärke gefragt: Kurz nach 21 Uhr heißt es „Unwetterwarnung in Unterfranken“. Glück gehabt, das Gewitter biegt in Bamberg ab und zieht vorbei. „Wir waren gerüstet“, sagt Sicherheitsbeauftragter Walter Mackert. Feuerwehr, THW, Polizei und Rot Kreuz blieben komplett vor Ort, bis nach 23 Uhr die Unwetterwarnung aufgehoben war.
Die extreme Hitze hat das Publikum an beiden Tagen nicht umgehauen, drei Behandlungen durch den anwesenden Notarzt, einige Hilfesuchende wegen Kreislaufschwäche, insgesamt nichts Spektakuläres. Mackert ist zufrieden.
Es hat sich herumgesprochen: Die Songs 2016 werden die letzten mit Ado Schlier als künstlerischem Leiter sein. Bodo Wartke, Viva Voce und Dominik Plangger haben ihr Kommen bereits zugesagt. Viele wollen es nicht wahrhaben, dass diese Epoche zu Ende gehen soll. Auch für Bürgermeister Jürgen Kohmann ist dies unvorstellbar. Er ist überzeugt, dass sich Wege finden, die Songs in irgendeiner Form weiterzuführen.





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