WEISMAIN

„Wantok“ – eine Zeitung für ein Volk

Niuginis in den 1960-ern: traditionell gekleideter Stammeskrieger mit Kind.

„Es geht durch unwegsames Gelände. Das letzte Stück legen wir auf allen vieren kletternd zurück. Wir gelangen zu einer länglichen Felsnische, wo etwa 25 aus Stangen gefertigte Körbe aufgestellt sind. In ihnen hocken die Toten und blicken stumm ins ferne Dorf. Die neueren von ihnen sind mit roter Rinde bemalt, der Nasenpflock sitzt noch fest im faltigen Gesicht. In Reichweite befinden sich Pfeil und Bogen, Nahrung, Tabak und Betelnüsse. Ein Hundegerippe liegt zu Füßen seines früheren Herren.“

Dies ist ein Auszug aus dem Reisebericht des Kulmbacher Schriftsetzermeisters Alfred Hübner. Zusammen mit seinem Freund und Kollegen Georg Scheder aus Weismain besuchte er Ende der 1960er Jahre die Kuku-Kukus, einen ehemaligen Krieger- und Kannibalenstamm. Die beiden Franken arbeiten jahrelang in der Entwicklungshilfe auf Papua-Neuguina. Während Hübner in der Hafenstadt Madang das Neue Testament druckte, half Scheder einige Hundert Kilometer entfernt in Wewak, eine Zeitung zu verlegen. Beide Publikationen waren etwas Besonderes, denn sie waren die ersten, die in Pidgin-Englisch verfasst waren. Das ist eine universelle Handelssprache die auf vereinfachtem Englisch basiert. Worte wurden so geschrieben, wie man sie spricht, beispielsweise „number one“ war „namba wan“, „idea“ war „aidia“ oder „street“ war „strit“.

700 verschiedene Sprachen

Eine Universalsprache war in Papua-Neuguinea wichtig, denn nicht einmal die Bewohner benachbarter Dörfer konnten sich verständigen. Mehr als 700 verschiedene Sprachen gab es auf Papua Neuguinea. Der drittgrößte Inselstaat der Erde ist etwa so groß wie Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen. Schneebedeckte Bergspitzen, breite Täler, Regenwald und Vulkane – die vielseitige Topografie sorgte dafür, dass sich einzelne Volksstämme in fast vollständiger Isolation entwickelten – zumindest bis der „weiße Mann“ kam. Unter dem Namen „Kaiser-Wilhelms-Land“ gehörte der nordöstliche Teil der Insel einst zum deutschen Kolonialreich

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Land an Australien übergeben und deren Kolonialverwaltung machte Schluss mit dem Ahnenkult, mit Kopfjagden und Menschenopfern. Heute hält noch ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung an den ursprünglichen Glaubensvorstellungen fest, die Mehrheit gehört christlichen Konfessionen an. Verantwortlich dafür ist die Missionierung, die bereits im 19. Jahrhundert begann.

Anfang der 1970er Jahre änderte sich etwas. Der heute 75-jährige Georg Scheder berichtet: „Das Land ging auf die Unabhängigkeit zu.“ Ein junger, gebildeter Niugini namens Michael Somare tat sich zunehmend hervor. Scheder kannte ihn persönlich. Er erzählt: „Michael Somare war ein guter Mann mit guten Ideen.“ Beispielsweise schrieb er ein Buch über das Führen von landwirtschaftlichen Betrieben und stellte acht Regeln auf, die das Land vorwärts bringen sollten, zum Beispiel „Alle Papuas müssen mehr Geschäfte machen“, „Frauen dürfen die gleiche Arbeit verrichten wie Männer“, „Alle müssen Steuern zahlen“. Somare hatte einen Traum: Aus Hunderten Stämmen Papua-Neuguineas sollte ein Volk werden, eine Demokratie, die wirtschaftlich und politisch den westlichen Nationen auf Augenhöhe begegnet.

Die einzige Zeitung, die es damals gab, war in Englisch geschrieben und an die Ausländer adressiert, die auf der Insel lebten. Somare wollte zusammen mit einem ebenso enthusiastischen amerikanischen Missionar ein kleines Blatt herausbringen, das alle Leute im Land verstanden. „Wantok“, abgeleitet von „one-talk“, ist die Pidgin-Bezeichnung für Menschen, die eine gemeinsame Stammessprache sprechen. Einen treffenderen Namen hätte es für die Zeitung nicht geben können.

Per Hand gedruckt

„Wantok“ erschien wöchentlich. Die 16 Seiten wurden mit Schreibmaschine geschrieben und per Hand gedruckt. Scheder erinnert sich: „Wir hatten eine kleine Maschine der Marke Rotaprint.“ Die erste Ausgabe erschien am 5. August 1970. Georg Scheder hat sie aufgehoben. Das Titelblatt zeigt einen Querschnitt durch die Gesellschaft, Einheimische sind abgebildet als Lehrer, Krankenpfleger oder Landwirte.

Das Pidgin-Englisch des Schriftsetzermeisters ist heute etwas eingerostet, zu lange hat er es nicht mehr gebraucht. Ein wenig abgehakt übersetzt Scheder das Grußwort des Chefredakteurs, des amerikanischen Missionars, auf der ersten Seite. Da heißt es: „Wenn du etwas sagen willst, kannst du uns schreiben.“ Es ist eine Anleitung für Leserbriefe, in der auch ein Funke Humor steckt: „Wenn du nicht willst, dass wir deinen Namen drucken, denk dir einen anderen aus.“

Auf den folgenden Seiten geht es um einen Vortrag Michael Somares, den er als Vorsitzender der Pangu Partei in Sydney hielt. Ein anderer Zeitungsbericht handelt vom Streit des Matanga Stammes mit der australischen Regierung. Auch außenpolitische Bildung fließt mit ein: So ist eine Landkarte abgebildet, auf der Belgien eingezeichnet ist.

Hochstimmung und Vorfreude

In der Bevölkerung herrschte Hochstimmung, die Vorfreude auf die Unabhängigkeit wuchs. „Wantok“ war ein voller Erfolg. Scheder verfasste Texte, fotografierte und half den Einheimischen beim Drucken. Gerne denkt der Weismainer Schriftsetzer an diese Zeit zurück. Er unternahm Ausflüge ins Landesinnere, bestieg Berge oder paddelte im Einbaum auf krokodilbesetzten Flüssen. In Wewak gab es zahlreiche freiwillige Helfer, sie stammten aus insgesamt 28 Nationen, unter anderem aus England, Ungarn, Polen, Holland, Australien oder Neuseeland. Gemeinsam hat man gefeiert, gegessen oder am Strand ein kühles Bier getrunken. Scheder genoss das Südseeflair. Doch es gab auch Wermutstropfen: „Teilweise herrschten Zustände wie in der südafrikanischen Apartheid“, berichtet Scheder. Den Einheimischen sei der Zutritt zu australischen Gaststätten verboten gewesen – paradox, hatten sie das Rauchen und Trinken doch von den Australiern gelernt.

„Teilweise herrschten Zustände wie in der südafrikanischen Apartheid.“
Georg Scheder über die politische Situation Anfang der 1970er Jahre

1975 war es soweit, Papua-Neuguinea wurde unabhängig. Kurz zuvor nahm Scheder eine Stelle in Indonesien an und zog um. Michael Somare wurde der erste Premierminister Papua-Neuguineas, sein Traum jedoch ging nicht in Erfüllung. Jetzt, lediglich 41 Jahre später, hat Papua-Neuguinea eine der weltweit höchsten Kriminalitätsraten. Verslumung in den Städten, Drogenprobleme, Alkoholabhängigkeit – es scheint, als hätten die Schattenseiten der Zivilisation das Land im Stechschritt eingeholt. Diebstahl, Vergewaltigung und Tötung sind auch außerhalb der Ballungszentren keine Seltenheit.

„Wantok“, die Zeitung, gibt es nicht mehr, Nachrichten verbreiten sich unter anderem über Facebook, denn die meisten Einheimischen besitzen Smartphones. Das Wort „Wantok“ hat mittlerweile einen negativen Beiklang, bezeichnet es doch ein System aus Seilschaften und Korruption, das weder vor Polizei noch Regierung Halt macht. Michael Somare trat im Jahr 2010 von seiner dritten Amtszeit als Premierminister zurück. Ein Untersuchungsausschuss ermittelte gegen ihn wegen fehlender Bilanzen.

Georg Scheder verbrachte noch einige abenteuerliche Jahre in Indonesien, wo er unter anderem den heutigen Literaturnobelpreisträger Günter Grass persönlich traf. Insgesamt waren es sieben Jahre, in denen Scheder als Entwicklungshelfer arbeitete. Später zog er nach München, machte eine Weiterbildung in Wirtschaftsinformatik, heiratete und gründete eine Familie. Als es Zeit war, in Rente zu gehen, kam die Ernüchterung. Die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe, kurz AGEH, der katholischen Kirche hatte zu wenig in die Rentenkasse eingezahlt. Das Resultat: Scheder wurde als Dank für seine Hilfstätigkeit die Rente gekürzt. „Das ärgert mich bis heute“, sagt er.

Korruption und Vetternwirtschaft

Seine Fazit zu den Niuginis: „Am besten hätte man sie gelassen, wie sie waren. Aber das ging nicht, schon allein wegen der Bodenschätze.“ Es heißt, Papua-Neuguinea schwimme in Erdöl. Auch andere Bodenschätze wie Erdgas, Kupfer sowie Gold und Silber werden von ausländischen Firmen gefördert. Angesichts von Korruption und Vetternwirtschaft ist es fraglich, wie viel von den Einnahmen der breiten Bevölkerung zukommt.

Niuginis in den 1960-ern: Begrüßungskomitee mit landestypischen Kundu-Trommeln. Foto: Alfred Hübner
Christliche Hochzeit: Im Zuge der Missionierung versuchten viele Einheimische den Weißen nachzueifern, auch wenn sie für... Foto: Alfred Hübner
Der Weismainer Georg Scheder (3. v. re.) zusammen mit dem Kulmbacher Alfred Hübner (2. v. li.), einigen neuseeländischen... Foto: Red
Einheimische arbeiten an damals modernen Druckerpressen. Entwicklungshelfer wie die fränkischen Schriftsetzermeister Hüb... Foto: Alfred Hübner

Schlagworte